da scheint es auch was zu feiern zu geben und ich rufe laut & herzlich
das ist claudine – inmitten ihrer töchter. sie hat jetzt ihr erstes halbes jahrhundert vollendet. herzlichen glückwunsch claudine – ich schenke dir diese eigenartige etappe und bin doch tatsächlich in
gelandet – hier feiern sie ihr vierhundertjähriges bestehen. und jule, die ältere tochter von claudine, wurde der legende nach in meinem bett gezeugt und ist damit genauso alt wie meine verbindung zum omnibus – ich kann also auf mehreren ebenen über zeit & rhythmus nachsinnen.
es hätte mir viel besser gefallen, wenn das fridericianum auf diese weise verhängt worden und der schöne weite platz verschont geblieben wäre von dieser billigen monstrosität, die nun schon das markenzeichen dieser documenta geworden ist:
wie lobe ich mir da den „vertikalen erdkilometer“ von walter de maria und unsere patenbäume – an dem ersten baum ist ziemlich gefühllos herumgeschnippelt worden und er sieht nicht gesund aus – das hat meinem herzen einen heftigen stich versetzt.
ich bin mit voller aufmerksamkeit & blanken pfoten herumgetigert und hatte die schönsten erlebnisse – von meinen außenpolitischen aktivitäten mit der pink republik einmal ganz abgesehen.
in einer dieser verhüllten torwachen habe ich arbeiten von edi hila, einem albanischen maler, entdeckt, die mich sehr tief berührt haben. allein dafür hat sich jeglicher aufwand gelohnt und für den ausblick gleich noch einmal:
ich habe vieles mitgenommen, was am rande meiner runden lag, die mich immer wieder zu meinen lieblingsarbeiten geführt haben …
steinzeitliche artefakte – liebe grüße aus einer zeit paradiesischer verbundenheit. die gleiche sinnlichkeit habe ich in vielen arbeiten wiedergefunden:
und ich habe erfahren, daß das ottoneum das erste öffentliche theater europas war und das fridericianum das erste öffentliche museum. vorher war die kunst exklusiv für bonzen & pfaffen oder zur subversion auf gedeih & verderb verdammt. das ist ja bis heute so geblieben. den künstlern kann ich das nicht vorwerfen – nur den vielen kunstschmarotzern & verbrauchern.
es hat mir einen schönen perspektivwechsel beschert, daß im fridericianum die sammlung eines athener museums für zeitgenössische kunst gezeigt wurde, die in griechenland noch nie gezeigt werden konnte – das war für mich wie ein film mit unbekannten schauspielerinnen.
und da finde ich diesen kommentar zu g20, festung europa, migrationsströmen und tödlicher technologie.
im fridericianum hat es leider nur für einen durchgang gereicht … dafür bin ich ziemlich oft in der neuen documentahalle gewesen, die war voll von sinnlicher schönheit:
ich sollte aufhören – es ist schon wieder zwei uhr morgens – also nur noch ein kleines betthupferl:
das ist unser haltestellenschild bei marianne & hermann, die ganz unkomplizierte & mitfühlende gastgeber waren – schön an der periferie des documentatrubels, insel der besinnung.
der kontrapunkt ist das gefängnis nebenan. ein wie aus der zeit gefallenes zeugnis besinnungsloser gewaltausübung. das läßt sich nicht intellektuell & theoretisch verbrämen und ist genauso häßlich wie viele der von schlechtem gewissen triefenden „westlichen“ kunstwerke, die auf der documenta gezeigt werden und mich völlig kalt lassen.
aber für diese arbeit allein hätte sich die reise schon gelohnt. diese anderthalb wochen waren traumhaft – ich fühle mich bereichert & ermutigt & beruhigt. ich bin bestimmt hundertfünfzig kilometer barfuß gelaufen und habe im gehen die schönsten erfahrungen & eindrücke durchgekaut & verstofflicht.
und es war jedes mal schön, auf allen möglichen wegen an die periferie heim zu kommen – ein wunderbares zuhause außerhalb der zeit:
da jauchzte mein anarchistenherz:
das neue trio mit gabriele & jonas ist heute fast vierhundert kilometer von kassel nach elmshorn gefahren, einschließlich tanken, wasser auffüllen, brauchwasser ablassen usw.
heute scheinen sie geübt zu haben, die a7 und den elbtunnel abzuriegeln – die letzten 30 kilometer waren voll verstopft, manchmal dreispurig.
und am rande des quälenden staus droschen wie verrückte derwische zwei schlagzeuger auf ihre percussiven sammelsurien ein: eine wilde animation gegen g20 – voll analog vor einem riesigen, zufällig zusammengesetzten, wehrlosen publikum, das gaaanz langsam vorbeigeschoben wurde.
hurra hurraa hurraaa
was für ein schöner kontrapunkt zu den vielen polizeitransportern, die an uns vorbeieilten, als die fahrt noch frei war. sogar zwei wasserwerfer haben uns überholt – ein oldtimer aus meinen sturm & drang zeiten und eine wirklich gruselige variante aus robocop.
passend dazu höre ich gerade das album „anarchitecture“ von skunk anansie.
nach einem unglaublichen crescendo sind wir in unsere höhle bei marianne & hermann zurückgekehrt – gestern abend sind froh erwartet tietz & tietz & tietz zu uns gestoßen, um die documenta zu besuchen, uns bei der arbeit zu helfen und freunde zu treffen. der tag endete wieder bei „il convento“ mit einer lebhaft zwitschernden tafelrunde von rund zehn menschen, die sich zum teil gerade erst kennengelernt hatten.
schaut sie euch gut an: das war heute meine rhythm section. prachtexemplare der gattung „gutartige riesen“ – eigensinnig & friedfertig & nachdenklich, dabei auf dem höhepunkt ihrer physiologischen leistungsfähigkeit – zu beiden habe ich eine breitbandige analoge verbindung. wir sind uns wohl gesonnen und können viel voneinander lernen.
am späten nachmittag sind noch andrea & johanna & theo dazugekommen – johanna ist schon ein schulmädchen (sie war im alter von acht wochen meine jüngste praktikantin und ist schon eine alte omnibus-häsin). theo kommt im sommer in die schule und schläft gerade zum allerersten mal im omnibus. ihn hätte ich soo gern mal als praktikanten am omnibus.
der abend endete in einer noch größeren changierenden tafelrunde bei „il convento“, das tatsächlich die ruine der garnisonkirche ist (während unserer geburtsdokumenta war die ruine überwuchert von einem filigranen dachlattengespinst des japanischen bildhauers tadashi kawamata, die mich tief beeindruckt hat).
theo hat besonders viel freude an meiner spontanen entscheidung gehabt, den omnibus für das abendessen einfach auf dem platz stehen zu lassen, obwohl unsere genehmigung seit 18:00 uhr abgelaufen war.
morgen werden wir alle noch einen tag auf der documenta verbringen … und jetzt ist schon wieder halb zwei vorbei.
meine besten wünsche zu deinem geburtstag, lieber jan – ich würde diesen fliegenden teppich zu dir rüber beamen, wenn er dir gefällt.