staatsgewalt

nach einem sehr erfüllten tag unter heißer sonne, der bis in die nacht hinein ausfranste – hatten wir gerade mit der gemeinsamen entspannung begonnen – und danilo machte mir einen tee, damit ich hinten im OMNIBUS mit dem schreiben beginnen konnte, tauchten völlig unerwartet zwei polizisten auf – an diesem märchenhaften platz, an dem wir auch schon die letzte nacht verbracht hatten und morgen mit andreas verabredet waren. sie verlangten (besonders einer von beiden) unerbittlich, daß wir von dort wegfahren sollten. sowas passiert alle zwei jahre mal.

nachdem ich zu erkennen gegeben habe, daß ich dem befehl gehorchen würde und ihm die konsequenzen vor augen geführt habe, die das für uns haben würde, hat es ihm irgendwie leid getan – und er hat nicht abgewartet, bis wir losgefahren sind – wenigstens das!

durch verschlungene & verbotene wege sind wir zu einem busparkplatz gefahren und ich bin nur noch fähig, dieses bißchen zu schreiben. es ist halb zwei und ich schaue ungefähr so aus der wäsche:

übrigens

standen wir am wochenende genau auf der grenze zwischen erzgebirge & vogtland. lisa hatte es so eingerichtet, daß wir von der letzten station der saxentour nur etwa 10 km entfernt waren. gerolf hat mir am samstag mit seinem auto unseren platz gezeigt – da konnte ich ihn schön mit fragen löchern.

die fahrt durchs erzgebirge habe ich mit einem kribbeln im bauch genossen – war ganz schön abenteuerlich – die ganze saxentour war ja ein urerlebnis für mich. mehrfach sind wir in eine mikrostruktur geraten, für die der OMNIBUS nicht geschaffen war. wir haben in mulden versteckte dörfchen entdeckt, die nur mit ganz dünnen linien verbunden waren. weit & breit keine richtige straße. stundenlang.

auerbach im vogtland war dann ein eher melancholischer ausklang unserer fahrt in den osten. obwohl er mich deutlich wahrgenommen hat, hat der bürgermeister mich nicht begrüßt.

drei tage. ich allein. pralle sonne. wenig menschen. 30 unterschriften & 1 allerdings sehr sympathischer förderkandidat am letzten tag. einige menschen sind noch einmal gekommen, nachdem sie die unterlagen gelesen haben. niemand hatte je etwas vom OMNIBUS gehört. viele haben gesagt, sie hätten alle hoffnungen aufgegeben. ich solle allerdings unbedingt weiter fahren. montags gab es am abend eine friedensdemonstration, an der etwa 50 menschen teilnahmen. abends um zehn war es totenstill und keine toilette zu finden.

ich hatte meine liebe mühe, lokker zu bleiben und resolute entscheidungen zu treffen. die gespräche waren ja durchaus anrührend. zur abwexlung habe ich mir szegediner gulasch zubereitet und drei tage glücklich davon gegessen.

forstmeister

hier will ich mich ausdrücklich bei lisa bedanken für die inspirierenden wochenendplätze, die sie für die saxentour organisiert hat. das „hotel forstmeister“ war eine schöne überraschung – ehemals in der ddr ein ferienheim – von entschlossenen menschen zu einem beeindruckenden betrieb ausgebaut. mit gerolf seidel habe ich mich gleich angefreundet. er hat mir viel über die geschichte des betriebs erzählt – mit allen möglichen verzweigungen. er erwies sich als „kräutermeister“ – dieses wort habe ich gerade extra für ihn erfunden. in seiner küche sah es aus wie in einem wissenschaftlichen labor.

sie haben geschickt einen in den hang planierten tennisplatz in einen wohnmobilplatz umgebaut, mit einer für den OMNIBUS zu steil abschüssigen zufahrt. das war überhaupt kein problem – wir sind sehr hilfsbereit & unkompliziert empfangen worden und hatten uns schnell auf einen „wilden“ platz geeinigt. die sanitären anlagen waren ein traum, nämlich zwei extra dafür bereitgestellte hotelzimmer. diese haltestelle hat mein herz im sturm erobert. in die datenbank damit.

ich bin überall herumgestreift und war von der pragmatischen vielfalt des angebots ziemlich beeindruckt – das unternehmen hat sich in den zeiten von corona eine erstaunliche gesundheit bewahrt und geschmeidig auf diese herausforderung reagiert. es ist tief verwurzelt und gleichzeitig überregional bekannt.

salto rückwärts

annaberg-buchholz kann ich hier nicht einfach weglassen – hier hat vor 500 jahren der bergbau der wissenschaftler & ingenieure begonnen – im erzgebirge. die zwillingsschwester im westen heißt clausthal-zellerfeld im harz auf gleicher höhe.

die stadt liegt in 750 meter höhe. ganz am anfang der saxentour hat mich jemand gefragt, wie ich denn mit diesem alten OMNIBUS da raufkommen wollte. darüber habe ich mir die ganze zeit den kopf zerbrochen. und auf der einsamen fahrt von grimma nach annaberg-buchholz habe ich gemerkt, daß ich viel abenteuerlustiger sein könnte, denn es gab so viele baustellen & umleitungen, daß sich selbst die einheimischen nicht auskannten. und ich staune noch immer darüber, wie lässig & wohlgemut ich ins ziel eingelaufen bin. fazit: „keine sorgen machen!“

der marktplatz ist weithin die einzige größere ebene fläche – ansonsten geht es heftig rauf & runter. die stadt hat ihre urwüxigkeit behalten und ist liebevoll restauriert, ohne so geleckt zu sein wie döbeln & grimma. und weil hier der industrieelle kapitalismus ausgeheckt wurde, gibt es auch diesen prototyp einer konsumhölle mit pickelhaube.

was urwüxig angeht, hat mich am ersten abend magisch eine tausend jahre alte kirche angezogen, die am höxten punkt der stadt steht wie ein gebirge.

durch dieses tor bin ich dann tief in die vergangenheit eingetaucht und habe meiner fantasie freien lauf gelassen. ich sah die stadt im winter tief eingeschneit und suchte nach einer passenden stimmung.

ich kann nie vergessen, daß an solchen brutstätten der sogenannten naturwissenschaften auch der militärisch-industrielle komplex entstanden ist, vor dem der amerikanische präsident eisenhower nach dem zweiten weltkrieg gewarnt hat.

leider bin ich nur am ersten abend zu einem spaziergang gekommen – es bleiben viele wunderfitzige fragen offen.

ohne band

immer häufiger ist der OMNIBUS der einzige symbiont, mit dem ich mich verflechten kann – er ist mir bühne & reittier & gehäuse, aber eher passiv, was den alltagsgroove angeht. wir haben keine zeit für streicheleinheiten, denn ich fühle mich erst mal dem oft spärlichen publikum verpflichtet und kann mich kaum losreißen, um aufs klo zu gehen.

andererseits kann ich mir die restliche zeit nach gutdünken einteilen – zum beispiel habe ich den „schulze-delitzsch“ zuende gelesen und viele bilder gemacht, die ich abends nach meinen spaziergängen bearbeite.

um lokker zu bleiben, muß ich hier lükken lassen, die mir hoffentlich in der erinnerung nicht verloren gehen, denn seit meinem letzten beitrag sind die ereignisse wild durcheinander gepurzelt. ich lerne, mir keine sorgen zu machen und meinem zusammenspiel mit dem OMNIBUS und allen menschen zu vertrauen. das entspricht dann musikalisch eher einem symphonieorchester … mit allen höhen & tiefen.

jetzt ist es halb zwei und ich muß ins bett – morgen weckt mich keiner.

noch imma grimma

mit einem lieben gruß an brigitte: das ist der regionalladen in grimma!

gleich am ersten tag kam ein ewig jungenhaft wirkender mann im hemd aus dem gegenüber liegenden stadthaus und stellte sich als der bürgermeister vor. er hat uns herzlich begrüßt und bedauert, daß wir nicht am markttag dort stehen könnten.

er ist der kandidat einer freien wählergemeinschaft und schon einige jahre im amt. er scheint alle passanten zu kennen und ist rundum ansprechbar. er hat mir sein leid mit den über ihm liegenden hoheitsebenen geklagt und sich ehrlich für unsere arbeit interessiert. das gleiche gilt für die stadtkämmerin, die uns kurz danach besuchte.

am letzten tag – da war ich schon allein – kam der bürgermeister wieder und hat meine ausdauer bewundert. zur erinnerung hat er mir eine einkaufstasche, ein lebkuchenherz und einen kräuterlikör, den augustinermönche seit dem 13. jahrhundert dort hergestellt haben, geschenkt und mir für meine arbeit alles gute gewünscht.

nach diesem einmütigen abschied hat er noch flugs für die bundesweite volksabstimmung unterschrieben und auf dem rückweg in den schatten des stadthauses noch mit mindestens drei leuten geredet.

döbeln & grimma

hundert abenteuer später fällt mir ein, was diese beiden städte gemeinsam hatten – sie wirkten wie abgeschleckt – woman traute ihren augen nicht und konnte es sich nicht erklären. sie glänzten & strahlten kein bißchen modern. jetzt leuchtet es mir ein:

beide sind ja in der tat von der wütenden mulde abgeschleckt worden in unausdenklichen heimsuchungen – da fragt sich erstens, warum der fluß so wütend war – und zweitens, was am ende dabei herausgekommen ist. ich hab ja schon mehr als genug geschwärmt von alten städten, die immer wieder nach feuersbrünsten & anderen katastrofen beharrlich in ihre stimmige form gebracht wurden.

schade nur, daß wegen corona viele hübsche kleine ladenlokale leerstehen.

da bleibt zu hoffen, daß die fluttore halten …

oberhalb der flutgrenze gibt es selbstbewußte häuser aus einer späteren epoche:

und ganz oben gibt es dann eine kontrapunktische überraschung:

die ruine eines sehr gesellig wirkenden bahnhofs, an dessen stelle nur noch ein paar roboter wirken …