gothic

   

die zweite residenzstadt in thüringen, deren name mit g beginnt: gotha – auch davon abgesehen sehe ich viele gemeinsamkeiten. der marketingslogan lautet „gotha adelt“ – in anspielung auf „den gotha“, das weltberühmte adelsregister. 
zur begrüߟung machte unser gastwirt in gebrochenem deutsch die flüchtlinge für alle übel der welt verantwortlich, als ich mich arglos nach seiner sizilianischen heimat erkundigt habe. er hatte schon eine zwischenstation in offenbach hinter sich, wo er vor den vielen „ausländern“ geflohen war – und hier jammerte er lustig weiter … wie die saxen! als italiener! als sizilianer!

peinlich berührt haben wir das über uns rollen lassen wie hintergrundrauschen.




am morgen haben wir festgestellt, daߟ wir wieder wie in wenigerode an einem brückentag gelandet sind. lauter freizeitmenschen waren unterwegs zu was auch immer, jedenfalls nicht, um sich für den omnibus zu interessieren.




und bei tag sah unser platz nicht besonders adlig aus – im gegenteil. obwohl es auch hier nur noch um konsum geht, vermisse ich schmerzlich raffinesse & stilempfinden. auch diese stadt ist über tausend jahre alt und ich kann meine sozialarchäologischen ausgrabungen machen.




wir haben den mann, der uns morgens für über hundert euro an den strom anschlieߟen wollte, weggeschickt und yunus hat unseren sizilianer um hilfe gefragt – zeige deine wunde – und schon konnten wir uns bei ihm an eine auߟensteckdose hängen.




und dann wurde letzte nacht unsere heavy duty kabeltrommel, die auch über hundert euro gekostet hat, geklaut. das hat mir gründlich die laune vermiest. erst mein lieblingsstein, dann hat uns letztens eine kehrmaschine ein sehr praktisches langes kabel, das michael aus einer kaputten kabeltrommel gerettet hatte, in zwei stücke zerrissen.




heute standen wir unsichtbar in einem meer von menschen – mit einem spektakulären festakt wurden die friedensglocken geweiht. vor hundert jahren wurden die originalglocken für kriegszwecke gebraucht und durch billige eisenglocken ersetzt.




wir fühlten uns wie aus zeit & raum gefallen. besonders ich, der ich die bäuerinnen so liebe und mich frage, wer eigentlich für die verwüstung europas durch den dreiߟigjährigen krieg verantwortlich ist …



wo lang

ein vietnamesischer junge beim studium der 95 thesen zur befreiung der arbeit …


uhrzwang

in einer stürmischen nacht wurde die uhr umgestellt – unsere kerzen flackerten wild und im schlaf wurden wir von heftigen böen geschaukelt.
wir haben uns mit einem geruhsamen sonntagsfrühstück – eine stunde später – neu kalibriert und sind auf ausgesuchten umwegen in die stadt spaziert, um uns das bauhaus museum anzuschauen, das noch gegenüber von goethe & schiller in einem ziemlich kleinen pavillion untergebracht ist.




dort haben wir einige schätze entdeckt. die ausstellung befand sich in einem raum und bot einen guten überblick über die entstehungsgeschichte in weimar mit ausblicken auf die gesamte bauhauszeit …




auf dem heimweg habe ich dieses graffito an einer wand entdeckt. und überhaupt: auf meinen spaziergängen habe ich so viele kleine kostbarkeiten gefunden, daߟ ich mit unserem aufenthalt hier glücklich & zufrieden bin.




zum beispiel

diese kleine skulptur, die ich abends im schaufenster einer galerie entdeckt habe, hat mich voll ins herz getroffen. tagsüber bin ich in die galerie gegangen und habe ein sehr aufschluߟreiches gespräch mit der galeristin geführt. sie hat die skulptur aus dem fenster geholt (mit weiߟen baumwollhandschuhen) und ich durfte sie aus der nähe betrachten & fotografieren …




yunus würde an dieser stelle sagen:

adieu weimar

& ich schicke noch einen gruߟ





gastspiel

das ist ein fliegender teppich von katharian mit tränenblech wie bei mir zuhause. was hat sich karl heinz wohl bei müller gekauft?

gestern nachmittag hat uns katharian auf unserem wochenendplatz besucht. er ist sofort zuhause im omnibus und mir total vertraut – unmittelbar volle bandbreite. zusammen mit yunus entspann sich das schönste palaver. mit dieser band würde ich jederzeit ins studio gehen. 

nebenbei haben wir uns aus lauter kleinen lekkereien ein köstliches mahl bereitet. ich habe meinen kannenförmigen tomcat (so heiߟt der auf dem bildschirm des eifohns) heruntergeholt und wir haben uns reihum musik vorgespielt und auch sonst lebhaft die dateien kreisen lassen. endlich mal ein digitaler eingeborener ohne feehsbukk & wottsäpp & sowas.




mit kuߟhand biehme ich ihm diesen remix und wünsche mir von herzen, daߟ er nach wiesbaden zu unserer geburtstagsfeier kommt.

als krönenden abschluߟ haben wir uns vergnügt in der spätvorstellung „fack ju göhte 3“ angeschaut, einen hemmungslosen klamauk mit selbstironischen obertönen. angenehm kontrapunktisch zu diesem mekka des bildungsbürgertums und der pensionierten oberstudienräte aus dem westen, die hier die gentrifizierung & den konsum anheizen.



yunus & ich



seit gabriele gestern nachmittag abgereist ist, sind yunus & ich wieder zu dritt und lassen lokker unsere eurhythmystische improvisation laufen.

und die heizungen im omnibus, denn es ist drauߟen stürmisch & kalt geworden. nach einem friedlichen frühstück kam renß© bestvater mit dem auto vorbei und hat mit yunus zusammen zwei gasflaschen ausgetauscht, so daߟ wir am wochenende sicherlich nicht erfrieren werden (heute war die letzte gelegenheit).

yunus hat dann ein kunstvolles mahl komponiert. er könnte auch mahlerei studieren!




mangold & schwarzwurzeln – ganz schlicht & elementar.


unverhofft

& freundlich unbeschwert hat uns karl heinz tritschler am omnibus besucht und abends zum essen ausgeführt. yunus hat bei ihm geduscht und dabei auch schon einmal einen blick auf katharian erhascht, der jetzt 19 jahre alt ist und ein eigenbrötler nach meinem geschmack.

er hat kein abitur gemacht und treibt gerade milieustudien in einer beruflichen orientierungsmaߟnahme – er ist künstler geblieben und hat sich in seiner entwicklung überhaupt nicht beirren lassen. gestern habe ich ihn endlich wiedergesehen. er war uns gleich ein lieber artgenosse und ein wunschkandidat für jede band.

ich habe mich so über diese wiedersehen gefreut, daߟ ich nicht mal ein volkfoto von den beiden gemacht habe.

im angesicht von katharian steht mir der zeitraum meiner fahrt als gigantisches gebilde vor augen. als er drei jahre alt war, ist er zum ersten mal mitgefahren und ich habe ihm vorn im omnibus während der fahrt das wort “ ex terri tori ahhhl“ beigebracht. jetzt überragt er mich und paߟt perfekt in die riege der „gutartigen riesen“.




schon vor zehn jahren waren wir kämpferische weggenossen – mit blanken transparenten drauߟen vor dem schwarzen loch von joseph beuys in düsseldorf.


das ist emil

mit dem ich mich behutsam anfreunde. er ist drei jahre alt und hat zuhause ein klavier zur freien verfügung. seine mutter clara habe ich in kassel während der documenta kennengelernt.

an unserem ersten tag in weimar ist sie zusammen mit joshua conens in einem bus an uns vorbeigefahren – volltreffer. sie studiert hier in weimar kunst und hat uns vorgestern abend zum essen & zum duschen zu sich nach hause eingeladen. sie hatte bei karl heinz tritschler kunstunterricht und war schülersprecherin an der waldorfschule. sie wohnt auch gleich bei karl heinz um die ecke auf der lisztstraߟe.

das abendessen war ein wunschkonzert aus wirsing & lauch. dazu gab es ein laibförmiges serviettenknödel, das, als wir ankamen, formvollendet in ein tuch eingehüllt seiner bestimmung harrte.

und bei dieser gelegenheit konnten emil & ich uns umkreisen & beschnuppern.


zeitreise



brigitte wollte nur ein paar bilder von der tour – und ich habe arglos am anfang begonnen und wurde mitgeschwemmt vom strom der erinnerungen und war die halbe nacht damit beschäftigt, tausend bilder durchzusehen und eine halbwegs gerechte auswahl zu treffen.




erst gegen mitternacht kam ich dazu, an meinen neuen bildern zu arbeiten und will jetzt gleich ins bett.  

es gäbe noch viel zu erzählen …



heimspiel



unsere auftritte in weimar kommen mir immer mehr wie heimspiele vor. dieses mal war ich wieder live aus dem studio von radio lotte zu hören. und der mdr hatte einen dreiߟigsekündigen fremd moderierten spot in einem nachrichtenmagazin gesendet, für den ein team ausgerechnet in gera gefilmt hatte – der hintere teil des omnibus sah aus wie eine verführerische verkaufstheke. 

das und die ankündigung in der tageszeitung haben uns einen lebendigen betrieb beschert – gesprenkelt mit den schönsten wiedersehen & erlebnissen. und mit zeitlosen neuen entdeckungen.


hier könnten wir auch ruhig mal ne woche bleiben. dieses mal werden wir in fuߟläufiger entfernung vom zentrum das wochenende auf einem wohnmobilplatz mit strom & wasser verbringen. wir haben also noch zeit für streifzüge.




wir werden von menschen, die wir gerade erst kennengelernt haben, zum essen & duschen eingeladen. das wetter ist auߟergewöhnlich warm, denn im augenblick stehen wir in der morgendämmerung auf und arbeiten bis zur abenddämmerung. am wochenende wird die zeit umgestellt – dann wird es ab sechzehn uhr dunkel.



wir wollen versuchen, uns stilistisch darauf einzulassen und mit dem wandel der stimmung zu synkronisieren …



rolle rückwärts

schon am samstag mittag haben wir erleichtert die grenze zu thüringen überquert und sind gleich auf die „eventfläche“ vor der kultur & kongreߟhalle in gera gefahren – allein auf weiter flur:




während ich am sonntag langmütig die kassenbücher für das ganze jahr geschrieben und die belege monatsweise sortiert & zugeheftet habe, haben gabriele & yunus auf jeweils eigenen wegen die stadt erkundet. die stadt ist eigenartig abgelegen am äuߟersten östlichen rand des landes, sie war mal die residenzstadt der reuߟen und ihre blütezeit liegt offensichtlich lange zurück. 




wir haben uns bereitwillig in diesen „eastern blues“ fallen gelassen und das trio hatte einen schönen melancholisch mitfühlenden groove.




die arbeit lief wie am schnürchen. wir hatten einen schönen zeitungsartikel unter einer fürchterlichen schlagzeile, in der das wort „stimmenfang“ vorkam. scheint aber keiner bemerkt zu haben, denn die gespräche, die sich daraus ergaben, waren produktiv & freundlich.

am ende sind auf märchenhafte weise zwei neue talismane bei uns gelandet.