in diesem zweiten winter der vermaledeiten volksverstümmelung habe ich mich noch tiefer nach innen fallen gelassen als sonst, nur um festzustellen, daß innen mindestens genauso viel los ist wie außen, zumal sich mein motto „immer schön lokker bleiben“ zu einer ernsten herausforderung auswäxt: wie soll ich nur gesund & bei laune bleiben, wenn draußen krieg ist ?
dem lieben jonas habe ich zu verdanken, daß meine therapeutin aus dem vorigen winter unverhofft schnell wieder bei mir einziehen konnte. freya hat zwar keine zeit, mir unterricht zu geben, aber ich kann nachts wild & leise improvisieren und alle düstopischen grübelknoten auflösen …
ich bin in einem kontrapunktischen zeitgefüge wohlig zuhause und gehe um fünf uhr morgens schlafen. diese asynchronizität ist meine heilige oase im infokrieg draußen. ich verlasse meine höhle nur für die nötigsten besorgungen und lese & lese & lese – es gab mal eine zeit, da wäre ich gerne in einzelhaft gegangen, wenn ich nur lesen könnte. jetzt fühle ich mich ähnlich …
die entdeckung des winters war juli zeh, von der ich inzwischen fast alles gelesen habe. sie hat 2010 ein sehr hellsichtiges theaterstück veröffentlicht, das wie angegossen zu unserer irrsinnigen zeit paßt: „corpus delicti“ – kann ich herzlich empfehlen – ich könnte ins schwärmen geraten – je mehr ich von ihr lese, desto sympathischer wird sie mir.
weil der krieg draußen mit worten geführt wird, habe ich übrigens auch hier nichts mehr geschrieben und lieber in geduldiger kleinarbeit einen uralten ausgetrockneten montblanc-füllfederhalter gesäubert und mit rosa tinte eingeschrieben: damit wollte ich – wenn überhaupt – meine traditionelle weihnachtskarte schreiben, was jeden winter eine schöne kontemplative vergegenwärtigung der wunderbaren menschen ist, denen ich mein leben verdanke.
weil viele irgendwo in der weltgeschichte herumschwirren, will ich diese karte hier anatal anhängen und alle, die das lesen, können sich gemeint fühlen:
puh, das war jetzt keine epistemologische askese, aber ich wollte mal laut geben und ausdrücklich erklären, daß ich auch in meiner einsiedelei (ab mittags) immer auf empfang bin und menschliche kontakte schmerzlich vermisse.