ungeheuer

das rathaus von döbeln ist ein gründerzeitliches ungeheuer – für eine stadt mit 25.000 einwohnerinnen. mir ist das ein rätsel.

wir stehen winzig klein davor … neben einer großen erdbeere … und die proportionen tanzen.

die altstadt ist umflossen von der mulde und war seit 2000 zweimal von hochwassern überschwemmt, von denen keine spuren mehr zu sehen sind. auf der suche nach dem fluß bin ich gestern nur auf einen leeren breiten kanal gestoßen, der wohl bei hochwasser als vorfluter eingesetzt wird.

die schnittstelle zwischen fluß & kanal habe ich dann heute gefunden – nach einem heißen ernüchternenden arbeitstag.

die meisten menschen, mit denen wir sprechen, sind fassungslos entsetzt über die berliner politik und können ihre gesunde wut nur durch ständiges aufzählen aller ungereimtheiten und wildes schimpfen abreagieren – da bedarf es seelsorgerischer fähigkeiten, sich da einzuklinken und zu einem friedfertigen austausch zu kommen.

wirtschaftlich bringt das erstmal nix ein.

roßplatz mit lisa

es ist soo beruhigend, nicht mehr allein zu sein. mit lisa bin ich gleich unisono – ohne viele worte. ich kann meine wahrnehmungen, was raum & zeit & menschen angeht, mit ihr abgleichen und habe die muße, nach herzenslust zu fabulieren …

… und meine spaziergänge zu zelebrieren. es gibt überall so viel zu entdecken.

der roßplatz war viel besser als der markt – aber wir hatten vergleichsweise wenige gespräche – da muß ich mich daran erinnern, daß die menge kein kriterium ist und mich voll der gegenwart hingeben, um bei laune zu bleiben.

und für hermann schulze-delitzsch bin ich ewig dankbar.

schulZe delitzsch

ich bitte vielmals um entschuldigung – hab ich doch bisher immer schulTe delitzsch geschrieben.

die große buchhandlung war eine enttäuschung: die hatten nichts über den berühmtesten sohn ihrer stadt – da bin ich gleich rein, als die heiß erwartete lisa zur wachablösung bereit war. ich wollte möglichst viel über ihn erfahren, weil er in einer zeit wirkte, als massen von proletariern damit begannen, in unvorstellbaren ausmaßen waffen herzustellen und arglos den kapitalistischen leviathan zu entfesseln …

also habe ich mir zeit für das „schulze delitzsch haus“ genommen, das als „immaterielles weltkulturerbe“ ausgezeichnet ist und mich voll in seinen bann gezogen hat …

ein kundiger mann hat mich liebevoll betreut und alle fragen beantwortet – und ich habe mich durch das haus treiben lassen und interessante dinge erfahren, zum beispiel, wie er zu seinem namen gekommen ist: er war mit großem zuspruch in den preußischen nationalrat gewählt worden und: um ihn von anderen schulzes zu unterscheiden, ist sein heimatort hinzugefügt worden …

er war ein anwalt der „kleinen leute“, die den vorindustriellen laden bis dahin am laufen gehalten hatten – und damit auch ein echter demokrat. während in seinem fokus die handwerker & gewerbetreibenden waren, hatte sein rheinischer zwillingsbruder raiffeisen eher die bauern und die landwirtschaft im blick. ich schwebte auf wolken der inspiration und habe noch eine 450-seitige festschrift zu seinem 200. geburtstag am 29. august 2008 erworben:

hermann schulze delitzsch

weg – werk – wirkung

und übrigens – es war die genossenschaftsbank als „demokratische“ körperschaft, die dort erfunden wurde – ganz im gegensatz zur „juristischen person“, die soviel unheil in der welt anrichtet – neuerdings mit popkultureller gewalt.

der roßplatz

das hat richtig freude gemacht, mich da zu plazieren. links ist die buchhandlung. von allen seiten laufen straßen auf den platz zu und hinter mir ist der wassergraben mit den seerosen und die stadtmauer. abends habe ich mich wieder rumgetrieben und mir die parks und das barocke schloß angesehen.

da war wohl mal wasser drin, denn oben rechts ist der haupteingang –

auf dem rückweg in die stadt habe ich noch einen hohen torturm entdeckt, der wie ein kirchtum aussieht

der andere steht gleich neben dem OMNIBUS …

oder von hinten

und nach großer runde – wieder daheim:

der marktplatz

ist zwar der kern der alten stadt – da ist das rathaus, eine apotheke, die sparkasse und ein pizza auslieferator. rundum nur gepflasterte gassen. von außen nicht einzusehen.

ich stand den ganzen vormittag in der sonne und wartete auf passanten. mein sachbearbeiter aus dem amt kam vorbei, um mir den elektranten hochzukurbeln und bestätigte meine ahnung, daß der roßplatz viel lebendiger sei. in der altstadt seien keine geschäfte mehr und das leben habe sich in richtung bahnhof verlagert. er hat einen stadtplan geholt und mir den weg erklärt – wie gesagt: lauter enge gassen ! am nachmittag bin ich die strecke mal zu fuß gelaufen. der tag war eine echte geduldsprobe – eine frau hat mit großer geste 10 euro in die dose gespendet.

es geht wieder los mit den hortensien:

es war die sparda

nicht die volksbank – und ich ahne, daß nicht nur die genossenschaft hier erfunden, sondern auch die idee der sparkasse hier geboren wurde.

am roßplatz ist gegenüber eine riesen buchhandlung – da will ich mir unbedingt eine biografie von schulte delitzsch besorgen … auf papier!

delitzsch

da habe ich zum ersten mal wieder einen gemächlichen erkundungsgang gemacht. wir sind drei tage hier – am dienstag kommt lisa – und ich muß den OMNIBUS jeden abend umstellen, weil dienstag hier markt ist. also hab ich mir schon mal den ausweichplatz angeschaut, der außerhalb der

liegt, die die altstadt ringförmig umschließt – vier meter hoch. der turm auf dem nächsten bild ist kein kirchturm, sondern ein torturm, dessen zwillingsbruder am ende des neunzehnten jahrhunderts abgebaut wurde.

den roßplatz find ich genauso schön wie den marktplatz – vermute sogar, daß da mehr leute vorbeikommen.

ich glaube, daß die abendspaziergänge auch meinem rücken gut täten, dessen beweglichkeit ich tastend ausprobiere – auch meine schlafhaltungen sind die reinste gymnastik.

und es entstehen bilder …

lebt wohl !

bei der ausfahrt von hofgut kreuma bin ich nochmal rausgesprungen … mein bad in der landwirtschaft ist wohl erst mal zuende. das war eine runde sache – ich konnte üben, lokker zu lassen – auch und gerade, weil ich alleine war. mein leben ist mit nichts zu vergleichen – also versuch ich besser, auch als solist einen lässigen groove zu entwickeln.

paßgenau habe ich auch „what your food ate“ von david r. montgomery & anne biklé zuende gelesen.

und bin mit gespannter erwartung nach delitzsch gefahren, wo die erste genossenschaft gegründet wurde und die volksbank entstanden ist. es gibt da ein schulte-delitzsch-museum – bin mal gespannt, ob ich dazu komme, das anzuschauen.

bei meinem spaziergang habe ich in der volksbank diese lustige werbung entdeckt: die zahlen 100 euro „begrüßungsgeld“ – wie wohl schulte-delitzsch das finden würde?