in witten
Monat: Juni 2024
wie bitte ?
ich traute meinen augen nicht.
home turf
eigentlich wollte ich mich hier so richtig über die grauenhafte häßlichkeit des platzes auskotzen, der nur hundert meter von unserem angestammten platz entfernt liegt:
wem würde das helfen – ich bescheide mich lieber mit ein paar bildern
ich will lieber über meine spiegelbildliche perspektive nachsinnen und habe deshalb ausdrücklich dieses bild an den anfang gestellt
denn ich habe brigitte in der „grünen perle“ besucht und michael hat uns mit nachschub versorgt und uns einen drucker gebracht, der hoffentlich allen beteiligten die arbeit wesentlich erleichtern kann. es hilft mir immer sehr, mich mit den beiden in fleisch & blut kurzzuschließen und in einklang zu bringen.
ich hab fast meine ganze lokale verwandtschaft gesehen und wunderbare junge eltern allerlei geschlechts mit ihren kindern kennengelernt oder wiedergesehen. in drei junge mütter habe ich mich unsterblich verliebt. das allein war die mühe wert.
und je länger ich darüber nachdenke – desto mehr interessante soziale augenblicke fallen mir ein! da kann ich doch ganz zufrieden sagen: „schiff ahoi“
ich sollte besser nur ganz bewußt schwarzweiße bilder machen
wittzig
wir sind ganz schnell & unerwartet für drei tage in witten gelandet, wo ich meine winter verbringe und mich jetzt aus der umgekehrten perspektive an gelungenen sachen erfreue – wie an diesem laden, der schallplatten & wein anbietet
im fenster war sogar eins meiner lieblingsalben – „nina hagen band“ – mit dem nina hagen wie eine rotzfreche granate im westen eingeschlagen ist. „naturträne“ ist mein lieblingslied.
den laden finde ich wittzig wie eine blume in der wüste.
voll im stau
wir hatten mal wieder kein wochenende – der OMNIBUS war eingeladen in die „jahrhunderthalle“ in bochum, wo die gls bank mit einer zweitägigen messe ihren fünfzigsten geburtstag feierte.
das bombastische gelände hat mich sofort in seinen bann gesogen – ab mitte des 19. jahrhunderts wurden dort immer neue verfahren der stahlerzeugung erfunden und steigerten sich parallel zum kaiserreich in skrupellosem größenwahn bis zu einem der wichtigsten rüstungsproduzenten der nazis. am ende des zweiten weltkriegs arbeiteten dort 7.000 zwangsarbeiter und 1.500 kz-häftlinge.
wenn das nicht ein denk mal ist !!! das ruhrgebiet ist voll davon. schon als kind hat es mich fasziniert, wenn sich am anderen ufer des rheins der himmel rot verfärbte, weil in einem hochofen ein abstich gemacht wurde – als meßdiener habe ich mir so ungefähr das fegefeuer vorgestellt und war froh, in einem dorf auf der linken seite des rheins zu leben.
wir standen an der periferie eines unglaublichen getümmels und sind überhaupt nicht von unseren einladern begrüßt oder in den reden der offiziellen & gratulanten erwähnt worden.
wir fühlten uns wie schamanen und haben unsere zauberkräfte spielen lassen …
tausend wunderbare analoge vollkontakte – ich mußte mich zwingen, zu essen und über die messe zu streifen. da habe ich mich wunderfitzig mit allen möglichen ausstellern kurzgeschlossen und auf den neuesten stand gebracht.
und wieder schloß sich ein kreis: der messestand von michael und der olivenölbande war in seiner schlichten klarheit eine selbstbewußte verkörperung von „small is beautiful“ – es war ein vergnügen, die ganze bande in aktion zu erleben.
ihr stand war bei weitem der schönste – ich habe absichtlich kein foto davon gemacht!
die quelle
hinter meinem fahrersitz hängt seit langem die weltkarte von bolo bolo, meinem anarchistischen märchenland, in dem es höchstens noch prügeleien gibt, jedenfalls keine machtballungen und keine kriege zwischen staaten.
es war mir sehr sympathisch, daß der autor das völlig nichtssagende pseudonym p.m. gewählt hat (die häufigste abkürzung im zürcher telefonbuch) – also nicht berühmt werden wollte. das sehr schön gemachte buch mit lesebändchen und japanisch anmutenden pictogrammen ist 1983 – also vor dem digitalen zeitalter – erschienen und liegt auch viel gelesen hinter meinem fahrersitz.
p.m. hat es immer wieder aktualisiert und durch einige romane sinnlich nachvollziehbar am leben gehalten – zuletzt mit einem schönen kleinen büchlein mit dem titel „warum haben wir eigentlich immer noch kapitalismus?“, das ich schon an alle möglichen menschen verschenkt habe.
an dem tesafilm, mit dem ich „bolo bolo“ beklebt habe und an der fliegenscheiße auf „warum …“ ist zu sehen, wie intensiv diese beiden bücher in den letzten jahren mit mir zusammengelebt haben.
inzwischen weiß ich, daß der autor hans widmer heißt und in der schweiz ganz praktisch an der verwirklichung seines sozialen modells arbeitet.
beim bildungsfestival in schloß hamborn habe ich mich spontan mit niko paech angefreundet, dem profeten der postwachstumsökonomie. er kannte hans widmer und hat mir erzählt, daß leopold kohr, ein aus österreich stammender weltbürger, ihr gemeinsamer lehrer war und insofern die quelle für bolo bolo.
daraufhin habe ich leopold kohr’s anfang der fünfziger jahre auf deutsch erschienenes buch „das ende der großen – zurück zum menschlichen maß“ gelesen, in dem er vorschlägt, die großmächte in ihre natürlich gewachsenen regionen aufzuteilen, wenn wir immerwährende kriege vermeiden wollen. er war ein brüderlicher freund von ernst f. schumacher, dem urheber von „small is beautiful“.
da schlossen sich für mich viele kreise …
ich finde, leopold kohr’s vorschlag für die aufteilung europas kommt bolo bolo schon ziemlich nahe.
ps: übrigens hat er bereits in der endphase des zweiten weltkriegs – er lebte & arbeitete in den vereinigten staaten – vorhergesagt, daß es zwangsläufig zu einem großen krieg zwischen rußland und amerika kommen würde.