flamingo
voll im stau
wir hatten mal wieder kein wochenende – der OMNIBUS war eingeladen in die „jahrhunderthalle“ in bochum, wo die gls bank mit einer zweitägigen messe ihren fünfzigsten geburtstag feierte.
das bombastische gelände hat mich sofort in seinen bann gesogen – ab mitte des 19. jahrhunderts wurden dort immer neue verfahren der stahlerzeugung erfunden und steigerten sich parallel zum kaiserreich in skrupellosem größenwahn bis zu einem der wichtigsten rüstungsproduzenten der nazis. am ende des zweiten weltkriegs arbeiteten dort 7.000 zwangsarbeiter und 1.500 kz-häftlinge.
wenn das nicht ein denk mal ist !!! das ruhrgebiet ist voll davon. schon als kind hat es mich fasziniert, wenn sich am anderen ufer des rheins der himmel rot verfärbte, weil in einem hochofen ein abstich gemacht wurde – als meßdiener habe ich mir so ungefähr das fegefeuer vorgestellt und war froh, in einem dorf auf der linken seite des rheins zu leben.
wir standen an der periferie eines unglaublichen getümmels und sind überhaupt nicht von unseren einladern begrüßt oder in den reden der offiziellen & gratulanten erwähnt worden.
wir fühlten uns wie schamanen und haben unsere zauberkräfte spielen lassen …
tausend wunderbare analoge vollkontakte – ich mußte mich zwingen, zu essen und über die messe zu streifen. da habe ich mich wunderfitzig mit allen möglichen ausstellern kurzgeschlossen und auf den neuesten stand gebracht.
und wieder schloß sich ein kreis: der messestand von michael und der olivenölbande war in seiner schlichten klarheit eine selbstbewußte verkörperung von „small is beautiful“ – es war ein vergnügen, die ganze bande in aktion zu erleben.
ihr stand war bei weitem der schönste – ich habe absichtlich kein foto davon gemacht!
die quelle
hinter meinem fahrersitz hängt seit langem die weltkarte von bolo bolo, meinem anarchistischen märchenland, in dem es höchstens noch prügeleien gibt, jedenfalls keine machtballungen und keine kriege zwischen staaten.
es war mir sehr sympathisch, daß der autor das völlig nichtssagende pseudonym p.m. gewählt hat (die häufigste abkürzung im zürcher telefonbuch) – also nicht berühmt werden wollte. das sehr schön gemachte buch mit lesebändchen und japanisch anmutenden pictogrammen ist 1983 – also vor dem digitalen zeitalter – erschienen und liegt auch viel gelesen hinter meinem fahrersitz.
p.m. hat es immer wieder aktualisiert und durch einige romane sinnlich nachvollziehbar am leben gehalten – zuletzt mit einem schönen kleinen büchlein mit dem titel „warum haben wir eigentlich immer noch kapitalismus?“, das ich schon an alle möglichen menschen verschenkt habe.
an dem tesafilm, mit dem ich „bolo bolo“ beklebt habe und an der fliegenscheiße auf „warum …“ ist zu sehen, wie intensiv diese beiden bücher in den letzten jahren mit mir zusammengelebt haben.
inzwischen weiß ich, daß der autor hans widmer heißt und in der schweiz ganz praktisch an der verwirklichung seines sozialen modells arbeitet.
beim bildungsfestival in schloß hamborn habe ich mich spontan mit niko paech angefreundet, dem profeten der postwachstumsökonomie. er kannte hans widmer und hat mir erzählt, daß leopold kohr, ein aus österreich stammender weltbürger, ihr gemeinsamer lehrer war und insofern die quelle für bolo bolo.
daraufhin habe ich leopold kohr’s anfang der fünfziger jahre auf deutsch erschienenes buch „das ende der großen – zurück zum menschlichen maß“ gelesen, in dem er vorschlägt, die großmächte in ihre natürlich gewachsenen regionen aufzuteilen, wenn wir immerwährende kriege vermeiden wollen. er war ein brüderlicher freund von ernst f. schumacher, dem urheber von „small is beautiful“.
da schlossen sich für mich viele kreise …
ich finde, leopold kohr’s vorschlag für die aufteilung europas kommt bolo bolo schon ziemlich nahe.
ps: übrigens hat er bereits in der endphase des zweiten weltkriegs – er lebte & arbeitete in den vereinigten staaten – vorhergesagt, daß es zwangsläufig zu einem großen krieg zwischen rußland und amerika kommen würde.
salto rückwärts
der zweite tag in lippstadt war dann viel besser – ich treffe immer mehr antagonistische symbionten: ich hatte ein langes gespräch mit einem berufssoldaten im ruhestand, der ziemlich klar & nüchtern die absurdität der westlichen kriegstreiberei beschrieb.
er erzählte zum beispiel, daß in der wegen ihrer fruchtbaren böden so begehrten ukraine mit uran angereicherte munition in massen verschossen wird, die dann später unsere billigen „lebensmittel“ kontaminiert.
weil die ukraine kein eu mitglied ist, kann die agrarindustrie dort völlig hemmungslos ihren krieg gegen den humus führen und die massentierhaltung maximal ausschlachten.
wir standen am anderen ende der fußgängerzone vor einem angenehm plätschernden brunnen. mit danilo fühle ich mich allen herausforderungen gewaxen und traue mich auch mal weg vom OMNIBUS …
lippstadt wird auch „das venedig von ostwestfalen“ genannt – die lippe wird landschaftlich schön durch die stadt geführt und hat dem handwerk brave dienste geleistet. das wollte ich mir wenigstens mal ansehen. im vorbeilaufen habe ich noch diese bilder gefunden:
nacht zusammen …
fatma
heute habe ich fatma kennenlernen dürfen. sie ist größer als ich und sehr dynamisch – eine intrinsisch motivierte aktivistin in den startlöchern. ich ahne ein kwadratisches potenzial:
beschwörend schick ich ihr rosen: sie wird vielleicht mal im OMNIBUS mitfahren …
ja, bitte, jederzeit & sobald wie möglich – bisher war ich nur mit jungs unterwegs – auch danilo wünscht sich weibliche elemente.
er hat schon mal vorsorglich folkfotos von uns aufgenommen – und siehe da:
wir landen im kwadrat !
freundliche karikatur
hab ich heute entdeckt und lieber an einigen bildern gearbeitet als in die kronologie zu passen – es ist zwei uhr morgens – also – zur nacht – nur noch ein kwadrat
anmerkung: mir ist eingefallen, daß heutzutage kaum noch jemand weiß, was „APO“ in meiner jugend bedeutet hat – nämlich „außerparlamentarische opposition“ !!!
dekadenz
in westfalen ist mir aufgefallen, daß fast alle uralten kirchen mit barocken zwiebeltürmen verunstaltet waren – romanisch schlichte steingebirge mit frühgotischen elementen und massiven wehrtürmen, die sich durch die wulstigen stummel in fette eunuchen verwandelt haben.
in lippstadt gabs gleich zwei davon – mit ursprüngen im 12. jahrhundert und frühgotischen einklängen. ich versuche immer, im zuge meiner anthropologischen feldarbeit in solche kirchen reinzukommen. meist sind sie verschlossen.
heute ist es mir mal wieder gelungen, mich einzuschleichen, weil der küster mit aufräumarbeiten beschäftigt war und die tür offen stand. wenn da so ein barfüßiger flamingo auftaucht und andächtig diese ursprünglichen beispiele des erweiterten kunstbegriffs bestaunt, öffnet das die herzen und ich kann tausend fragen stellen. heute hat sich ein wunderbares gespräch mit dem alten pfarrer ergeben, der mich kenntnisreich durch die verschiedenen stadien dieser sehr beeindruckenden kirche geführt hat. er hat alle meine fragen geduldig beantwortet und mich auf viele kleine besonderheiten hingewiesen. solche gespräche machen mich glücklich.
und das war nicht der einzige höhepunkt unseres aufenthalts, der so entmutigend begonnen hatte.
so sah es derweil auf unserem ursprünglichen platz aus !
morgen mehr …
presse lippstadt
na, was hab ich gesagt ?
es freut mich jedesmal sehr, wenn ein redakteur den mut hat, mich wörtlich zu zitieren, wenn ich sage, daß wir uns nicht nicht damit zufriedengeben können, alle vier jahre einen blankoscheck in eine urne zu stecken. das leuchtet allen menschen sofort ein !
sisyphus läßt grüßen
zur erinnerung: da hab ich allein die nacht verbracht.
und wurde von einem ziemlichen getöse geweckt, bevor der wekker klingeln konnte. eine junge frau aus dem ordnungsamt teilte mir auf nüchternen magen mit, daß ihr chef beim erteilen der genehmigung nicht bedacht hatte, daß heute die bühne für das altstadtfest am wochenende genau an der stelle aufgebaut wurde, an der der OMNIBUS perfekt installiert war. die arbeiten würden sich voraussichtlich über den ganzen tag hinziehen und ich möge mich doch bitte woanders aufbauen.
vor dem frühstück habe ich dann gleichmütig die schöne installation zerstört und den OMNIBUS irgendwie am rechten rand des platzes aufgebaut – dem himmel sei dank, daß ich mich nicht mal besonders aufgeregt habe. ich stand neutral neben mir und staunte über diese unerwartete geduldsprobe & meine beharrliche gelassenheit.
später kam dann auch der chef, entschuldigte sich für sein versehen und bot mir für den zweiten tag einen platz am anderen ende der fußgängerzone an.
ausgerechnet in diese situation kam dann ein ehrlich interessierter junger redakteur der hiesigen lokalzeitung, die „der patriot“ heißt. er wird gewiß für die morgige ausgabe einen schönen artikel schreiben.
ich blieb ganz hilflos an den OMNIBUS gefesselt, bis mich ganz unverhofft danilo erlöst hat – früher als erwartet kam er von seinem liebesseminar am starnberger see zurück. mir fiel ein stein vom herzen.
nach einer schnellen inventur hat er gleich die nötigsten einkäufe erledigt – und ich konnte am nachmittag endlich ein paar stellen abklappern, die ich bei meinem abendspaziergang in der stadt entdeckt hatte.
was geduld angeht, gehe ich bei den unscheinbaren flechten in die schule …