Wir gehören einer Zeit an, deren Kultur in Gefahr ist, an den Mitteln der Kultur zugrunde zu gehen
Friedrich Nietzsche
Wir gehören einer Zeit an, deren Kultur in Gefahr ist, an den Mitteln der Kultur zugrunde zu gehen
Friedrich Nietzsche
in reinstorf ist samuel zu uns gestoßen, ein kommilitone von elias, zum probeweisen schnuppern.
gleich am ersten tag hat er eine ewiglange fahrt über die „kasseler berge“ erlebt – mit allem drum & dran: tanken, wasser suchen, wasser lassen, gasflaschen kaufen, ständig aufmerksam sein, gut zuhören – das war der ultimative härtetest. wir konnten uns bei der arbeit erleben und nebenbei unsere geschichten erzählen, nachdem wir schon eine nacht miteinander verbracht und zusammen gefrühstükkt hatten.
wie gut die beiden jungs inzwischen aufeinander eingestimmt sind, ist oben auf dem bild zu sehen. elias hat nämlich sofort mit der ausbildung begonnen und jeden handgriff erklärt.
zwischen den beiden liegt der jahrtausendwexel: elias 99 & samuel 01 – da geht meine fantasie mit mir durch …
ich fühle mich jedenfalls pudelwohl mit den beiden – sie kümmern sich um mich wie um einen lieben opa und wollen wirklich was lernen. da läuft der laden wie von selbst.
inzwischen sind wir ja in sonnerden gelandet, mitten im „dorf“ auf der „hauptstraße“, wo wir jeder für sich & gemeinsam an unseren netzen spinnen können.
viele kinder. schönes wetter. ich bin voll beschäftigt und zu allem bereit – meine sorben-tour fängt ja schon am 25.08. an – da gibts noch viel zu improvisieren.
und elias wäxt mit seinen aufgaben. er bringt samuel alles wesentliche bei und ist nebenbei die bärtige hausfrau. heute habe ich mit elefantenohren einem langen gespräch zugehört, das er mit einem älteren paar geführt hat. er hat geduldig die landläufigen argumente über sich ergehen lassen und entspannt & freimütig aus seiner mitte heraus gesprochen – ohne rhetorische trix. das war so überzeugend authentisch, daß die beiden sich herzlich für das gespräch bedankt und an ort & stelle ein förderblatt ausgefüllt haben mit einem jahresbeitrag von 500 euro. wir haben ihnen – passend zum gespräch – „im grunde gut“ von rutger bregmann und das buch über die südosteuropa-tour 2009 geschenkt und einander zum abschied einzeln in den arm genommen.. bravissimo!
da jonglieren die beiden über kreuz mit sex bällen.
ich bin begeistert davon, daß anja sich in den gemeinderat hat wählen lassen – und unser märchenhaftes wochenende haben wir weidlich genutzt, vor ort alle möglichen fäden zu spinnen …
… und so kam es, daß wir nach den tagen in dannenberg wieder zurück gefahren sind nach reinstorf und dort vor der kirche zwei nächte verbringen konnten, um dann gleich nach dem frühstükk die weite fahrt – über die berüchtigten „kasseler berge“ – nach sonnerden antreten zu können.
am ersten abend hatte anja die bürgermeisterin – mit der sie befreundet ist – & den gemeinderat animiert, uns nach der ratssitzung am OMNIBUS zu besuchen – und tatsächlich sind so gegen neun nach „feierabend“ drei frauen & zwei männer zu einem überaus lebhaften & grundsympathischen palaver bei uns aufgetaucht – und geblieben, bis es dunkel wurde.
am mittwoch haben uns nicht nur anja & robin jeweils einzeln besucht – wir haben die pfarrerin und ihre familie kennengelernt – und wirklich neugierige menschen, die den OMNIBUS im vorbeifahren entdekkt oder von seinem spektakulären auftritt am wochenende gehört hatten. alle kannten sich und waren durch vielerlei kommunale aktivitäten miteinander verbunden. direkte demokratie vom feinsten & kleinsten – als bekennender spinner & friedensapostel war ich in meinem element und habe angeregt, mal eine konzertierte aktionswoche zu organisieren.
das kam schon wieder bolo bolo ziemlich nahe!
in der „republik freies wendland“, mit der ich mich vielfältig verbunden fühle: ich bin ehrenbürger mit reisepaß & führerschein.
wir standen zwei tage auf dem marktplatz in dannenberg unter brüllender sonne, die wir bis zum frühen nachmittag im rükken hatten. träger betrieb. dabei hab ich zum ersten mal das amtliche kennzeichen DAN-CE entdeckt!
als ich mal weg war, kam ein mann zu elias und fragte ihn, ob es auch eine „soziale plastik“ sei, wenn er jeden monat geld an hans-jürgen hartmann verschenkt, damit der würdig seine alten tage verbringen kann. elias kannte keinen hans-jürgen hartmann. ihn – hans-jürgen – hat das schicksal von hamburg in ein kleines nest am nördlichen rand des wendlands verschlagen. er ist ein weithin bekanntes original & ein treuer freund, der mich schon öfter mit seinem hund am OMNIBUS besucht hat. die malerei ist sein heilmittel: regelmäßig schikkt er mir seine bilder „anatal“ & „unverkennbar“ – manchmal mehrere aus einer nacht -, in denen er mit berserkerhafter intensität das zeitgeschehen kommentiert. ich fühle mich energetisch mit ihm verschwistert.
ich mußte laut lachen vor freude über das bild, das mir die ursprüngliche frage ins bewußtsein spülte und rief begeistert: „SOZIALE PRAXIS!“ – mit lieben grüßen an brigitte.
später kam der gleiche mann zu mir – und wir waren sofort in voller bandbreite analog verbunden – ich habe ihn beglückwünscht zu seinem handeln und ihm erzählt, warum für mich „soziale plastik“ & „soziale praxis“ ineinander aufgehen wie yin & yang.
dann habe ich ihm meine wunde gezeigt und ihm die daraus resultierende frage gestellt:
„hasse mal nen hunni?“
da hat er gelacht und gesagt: „na klar hab ich nen hunni – ich muß nur eben in die bank“
und der flamingo ist restlos begeistert über diesen TAN-Z.
fürs wochenende haben wir wohlverdient & ganz spontan eine heilige oase gefunden: ich hatte die idee, anja, die mich schon seit acht jahren an der periferie wohlwollend begleitet, auf dem weg ins wendland zu hause zu besuchen – sie hat zusammen mit robin ein von christopher alexander inspiriertes haus gebaut, das ich unbedingt mal sehen wollte …
… und wir sind von dieser bunten sippschaft herzlich in empfang genommen worden – für die einfahrt mußten fahrzeuge umrangiert werden, damit wir uns perfekt einfädeln konnten ins gelände – und anja & robin haben sich riesig gefreut.
wenn ich noch ein krist wäre, würde ich sagen: „es war zu schön, um wahr zu sein“.
die kinder. anja & robin. das haus. die eingeborenen. die kommunale intelligenz. das essen. das gelände. die kompostklos. das wetter. das winzige dorf – ich könnte endlos davon schwärmen – ein bolo, wie es im buche steht!
wir sind rundum glücklich & zufrieden.
drei sich träge dahinschleppende tage.
der jungdünamische bürgermeister hat uns keines blikkes gewürdigt. seit der kommunalwahl ist die afd zweitstärxte fraktion nach der cdu – hat aber mangels masse nur 3 leute für 7 sitze. in einem bürgerbegehren haben sich etwa 90 % der abstimmenden gegen den bau eines containerdorfs für migrantinnen in dem winzigen vorort upahl entschieden, was für die medienmeute ein gefundenes fressen war und genüßlich ausgeschlachtet wurde – obwohl es schon auf den zweiten blikk klar wurde, daß es eine harmlose, völlig nachvollziehbare entscheidung war, denn die stadt hat sich durchaus nicht geweigert, migranten aufzunehmen, sondern lieber auf verstreute unterbringung in einzelwohnungen gesetzt.
die stadt versucht verzweifelt, sich ein „modernes“ image zu geben und beteiligt sich zum beispiel an einem smart city wettbewerb – ich frag mich, ob enoch davon gehört hat (hallo?). da hätt ich gern dem parteilosen bürgermeister mein tiefstes mitgefühl ausgesprochen.
der altersdurchschnitt lag bei über sechzig und in den wenigen gesprächen haben die menschen fassungslos ihr herz ausgeschüttet über die politik & den krieg. die ohnmächtige empörung hat uns leidgetan – wir haben uns mühe gegeben, sie zu besänftigen und auf den boden der tatsachen zu holen.
wir waren froh, als diese drei traurigen tage vorbei waren.
wir standen weithin sichtbar am kopfende des langen & schmalen marktplatzes und hatten die heiße sonne im rükken. wir waren leider so erfolgreich, daß wir nur wenig von dieser interessanten stadt mitgekriegt haben, deren ursprung eine rund 800 jahre alte abtei ist. das dazu gehörige münster gilt als perle der backsteingotik. am ende des 18. jahrhunderts wurde an den ostseestrand in klassizistischem stil das erste seebad auf dem kontinent als sommerresidenz für irgend einen scheiß fürsten gebaut: heiligendamm – mir bisher nur bekannt als ort gewaltsamer ausschreitungen anläßlich eines g(x) gipfels.
seit über hundert jahren fährt von bad doberan eine schmalspur-eisenbahn an der ostseeküste entlang über heiligendamm nach kühlungsborn, einem „kraft durch freude“-ferienort, den wohl die nazis gebaut haben. da war ich in den nuller jahren mal mit dem OMNIBUS.
diese „bäderbahn“ – im volksmund „molly“ genannt – fährt regulär – gezogen von einer veritablen dampflokomotive bimmelnd durch die einkaufsmeile von bad doberan.
auf meinen kurzen spaziergängen habe ich bisher nur die riesige eiche, das frank zappa denkmal und architektonische stilblüten gesehen, was mich sehr neugierig auf weitere besuche macht – am besten mit einer größeren band.
diesen großkotzig maßlosen klassizistischen gebäuderiegel empfinde ich als „liegendes hochhaus“.
eingedenk unseres rekordergebnisses schreibe ich also bad doberan auf meinen wunschzettel.
als wir uns in elmenhorst ausgeloggt haben, hatte sich dort gerade eine militante variante von „wohnmobil“ eingeloggt – für mich sieht das nicht besonders anheimelnd aus – aber voll zeitgenössisch.
da steigt mir die behaglichkeit meines gehäuses labend ins bewußtsein – der OMNIBUS hat unendlich viel mehr zu bieten.
letzten freitag in teterow habe ich mich unentschlossen & lustlos mit der frage gekwält, wo wir das wochenende verbringen könnten – und mir gingen die ideen aus. das hat elias bemerkt und begütigend versprochen: „ich kümmere mich darum!“ da konnte ich erleichtert meine verantwortung loslassen und hatte den kopf frei für die gegenwart. die fahrt steckte dann voller überraschungen, denn sie führte knapp an der trostlosen stelle vorbei, an der ich vor zwei wochen am rand von rostock gestrandet bin, weil ich unbedingt nach lichtenhagen wollte, in eine berüchtigte plattenbausiedlung. der weg führte uns links an rostock vorbei, durch endlose schrebergärten über sträßchen, die für den OMNIBUS verboten waren. ich habe rechts immerzu ausschau nach den silhouetten von lichtenhagen & lütten klein gehalten, bis wir durch ein unter denkmalschutz stehendes dorf namens „lütten klein“ gefahren sind. lauter aha erlebnisse …
elias hatte den perfekten hafen ausgekundschaftet: einen digital gesteuerten wohnmobilplatz in elmenhorst an der ostseeküste, 12 kilometer von unserem zielort entfernt. 20 euro für 24 stunden.
ganz ohne mein zutun. ich habe wieder mal gelernt, wie gut es mir tut, meiner band & dem leben zu vertrauen und mir keine sorgen zu machen. wir haben ein wunderbares wochenende verbracht mit lekkerem essen & traulichen gesprächen – und hatten reichlich zeit, unseren jeweils eigenen spuren zu folgen.
wenn titel uns was bedeuten würden, würde ich elias feierlich zu meinem schülermeister ernennen – voll im groove des „oszillierenden rollentauschs“.
heute hab ich ihn – hoffentlich unbemerkt – bei der arbeit fotografiert.
er ist schon viel besser als ich dachte