ostalgische gefühle

haben mich in dieser thüringen woche ergriffen & allmählich besonnen. ich lebe mich ein in ein anderes genre.

zum beispiel zeulenroda: das klingt geheimnisvoll & verführerisch. wir standen vor der commerzbank am rosa luxemburg platz, einer trostlosen mischung aus kriegerdenkmal & parkplatz. das straߟenschild war abmontiert (während der goethe von der querstraߟe natürlich noch hing). und gleich um die ecke lag schon wieder ein kahlgefegter marktplatz, auf dem wir nicht stehen dürfen.




eine freundlich resolute 81-jährige dame hat mir im rahmen eines anregenden gesprächs ihre lebensumstände geschildert und mir zu verstehen gegeben, daߟ sie keine förderin des omnibus werden könne.

später, während ich im gespräch mit einer zeitungsreporterin im omnibus saߟ, kam sie noch einmal zu yunus und hat sich in die telefonliste eingetragen. als die reporterin gegangen war, hat sie mir ihre hand gegeben und sich bedankt mit den worten: „daߟ es menschen wie sie gibt, hat mir neuen mut gegeben.“

besser gehts nicht!



das thüringen trio

voll in der sonne. in dieser besetzung haben wir eine thüringen woche hinter uns, die mir für immer in guter erinnerung bleiben wird.




milena ist am sonntag abend mit dem zug nach saalfeld gekommen. sie hat in einem zweiten anlauf in witten einen sehr analogen menschenbetonten medizinstudiengang gefunden, nachdem ihr ein erstes semester in düsseldorf überhaupt nicht gefallen hat.

ihren vater habe ich auf dem kongreߟ in bochum kennengelernt – er ist kinderarzt und ihre mutter ist kinder & jugend psychiatrin. was für eine konstellation! 

sie spielt geige und würde am liebsten immerzu frei improvisieren.

bei mir glühten sofort alle drähte.




yunus würzt dieses trio mit exotischen rhythmen. ich bin froh über diese woche des einstimmens mit den beiden, bevor wir uns nächste woche als quintett ins getümmel des kampfsammelns stürzen.

es ist halb drei und wir stehen auf einem gebührenpflichtigen autohof in dresden – nacht zusammen.


zeulenroda

das ist die tür zum ziemlich pompösen klassizistischen rathaus, das von einem reichen fabrikanten gestiftet wurde. die linke klinke ist oxidiert. 




und wenn er könnte, wäre auch dieser trabbi oxidiert. wir sind hier in der tiefsten ostprovinz und stehen ziemlich abseits. vor allem: weit & breit keine konsumhölle. hier hat erstmals die presse nicht mitgespielt und es wird wohl morgen keinen artikel geben. aber wir waren angekündigt.




und mitten in diesem ausgestorbenen realismus sind wir deutlich erfolgreicher als im ländle – ich muߟ mir das nur noch in vollem umfang vergegenwärtigen.




als ich den omnibus plaziert hatte, fühlte ich mich wie ein akteur des absurden theaters – wie im bühnenbild von „warten auf godot“. den ganzen tag kamen autos um die ecke und fuhren uns über die füߟe auf der suche nach einem parkplatz. der altersdurchschnitt liegt jenseits von 50 jahren.

der platz ist nach einer meiner superheldinnen benannt:



auch neu: yunus

seit anderthalb wochen ist yunus dabei: er hat gerade sein abitur gemacht und ist der längste & exotischste junggeselle, den ich je hatte – er kann im omnibus nirgendwo aufrecht stehen, er ist lang & schmal wie eine giacometti plastik. den groߟteil seiner kindheit hat er in pakistan verbracht – wenn ich das richtig verstanden habe, ist er im alter von acht/neun jahren im ruhrgebiet auf der waldorfschule gelandet – was für eine mischung !!!

jedenfalls hat er schon in dem wilden trio mit patrick eine schöne eigene stimme gefunden – verspielt & traumwandlerisch. wenn ich ihn aufwecke und auf etwas aufmerksam mache, ist er gleich voll da & niemals zickig. bevor er zum omnibus gekommen ist, hat er seine langen haare abgeschnitten – das war auch neu.

und er hat schöne kleider: knielange elegante hemden mit kleinen stehkragen. luftig leichte hosen, die unten bauschig herausschauen. er läuft auch viel barfuߟ. auf dem bild trägt er einen bademantel seiner mutter, den er auch auf der straߟe trägt, wenn er auf reisen ist: da hüpft mein herz vor freude.

er ist für vier wochen am omnibus und ich weiߟ jetzt schon, daߟ ich mich voll auf ihn verlassen und ihn in aller ruhe studieren kann. 





neues wetter



in saalfeld ist das wetter wunderbar warm und ab mittag stehen wir im schatten – ich habe meinen afrikanischen strampelanzug mit freude wieder angezogen – in kombination mit dem dünnen schwarzen lederjackett, das ich voriges jahr in landau im second hand laden gekauft habe, ist das meine lieblingstracht geworden. die ärmel sind bis über die ellenbogen hochgekrempelt und ich fühle mich lachend zu hause.

ein freundlicher türkischer pizzabäcker, dessen pide wir am ersten abend ausprobiert haben, hat uns gleich über nacht den schlüssel zu seinem laden gegeben, damit wir seine toilette benutzen können. und heute morgen hat er mir angeboten, daߟ wir alle bei ihm duschen können … 

tagsüber können wir unsere bestellungen aufgeben und im omnibus oder neben dem omnibus an einem seiner tische drauߟen verspeisen.




am nachmittag hat sich ein gewitter zusammengebraut und wir sind nach der arbeit mit aufgespannten regenschirmen zur saale gelaufen – bei donnern & blitzen.




ich liebe wild bewegtes wasser und schwimme gleich weg in kindliches staunen:




und es hagelt fliegende teppiche.



alles neu

für mich: neu im osten, neu auf diesem groߟen leeren platz, an dessen längsrändern halbwüchsige, krank aussehende baumschulenbäumchen stehen – ich erkenne den platz nicht wieder, obwohl ich schon zweimal hier war – einmal bei der jungfernfahrt im herbst 2000 und einmal beim zweiten volksbegehren in thüringen 2008. jetzt ist er kahl & leer wie überall im westen, nirgendwo schatten oder irgendwas weiches, kein freies wasser, kein lebendiges klima – als stadtplanerische leistung wird verkauft, daߟ die autos vom platz verbannt sind und daߟ alle schön abkassiert werden können, die an den beiden längsrändern halten & parken 

die leergefegten plätze eignen sich hervorragend für massenkommerz wie weihnachtsmärkte, wo die höchsten quadratmeterumsätze erzielt werden,

jetzt bin ich abgeschweift und habe noch nicht erzählt, was sonst noch alles neu ist – vielleicht beim nächsten mal.




das ist auch neu: daߟ ich mittendrin aufhören kann.


endlich mal wieder

im osten – da bin ich besonders gern im alltag unterwegs und erkunde das feld. wir sind durch den thüringer wald in das gebiet der ehemaligen ddr hineingefahren – eine ihrer schönsten ecken und neben dem harz das einzige ernsthafte gebirge – wild und ursprünglich. die fahrt war atemberaubend und führte über in alle richtungen schlingernde kleine straߟen.

an einer vierzehnprozentigen steigung hat sich unser getriebe gründlich verschluckt. patrick hat mir später gestanden, zum ersten mal seit langem gebetet zu haben. wir sind zwar raufgekommen, aber sobald ich wieder aus dem stand anfahren wollte, heulte der motor wirkungslos auf und der omnibus bewegte sich nur zentimeterweise. beim rückwärtsgang das gleiche spiel. schock in der schönsten freien wildnis, kurz vor dem ziel …

das getriebe hat sich bei mir beschwert über diese geländezumutung. konnte ich nachvollziehen. demütig habe ich mich zu meiner hilflosigkeit bekannt und zurück gefragt: „was hätte ich denn machen sollen?“

mit vorsichtigen experimenten und viel gutem zureden habe ich mich an den kraftschluߟ herangetastet, an den moment, wenn das getriebe wieder greift und der omnibus sich normal bewegt.

während paranoide eskalationsfantasien auf mich einprasselten. immer schön lokker bleiben – das hört sich so leicht an.

es gab noch zweimal solche aussetzer, aber die letzten dreiߟig kilometer verliefen störungsfrei – das getriebe scheint mir verziehen zu haben.

wir sind jetzt für drei tage in saalfeld, in der kniekehle der republik. hier war ich auch auf meiner jungfernfahrt. seitdem hat sich hier viel verändert. ich bin gespannt.


etappe

die lebensgemeinschaft tempelhof ist ein etappenziel geworden, das ich immer gern in augenschein nehme: hier wird am vordersten rand des praktisch möglichen gearbeitet. gleichzeitig ist in der digitalen welt ein beachtlicher netzknoten entstanden – anziehungspunkt für die avantgarde, die von der neuen muse geküߟt wurde.




dieses noch ganz frische buch von hildegard kurt hatte ich gerade zuende gelesen, als ich sie in der bibliothek vorgefunden habe, wo sie ihre pause verbrachte. endlich haben wir uns mal persönlich kennengelernt und breitbandig ausgetauscht, obwohl wir nur minuten zur verfügung hatten.




zu allem überfluߟ stellte sich heraus, daߟ gestern abend, als wir ankamen, gerade ein vortrag von andreas weber lief. leider war er schon abgereist.




so ein zeitwirbel kitzelt meine fantasie und ich kann die schönsten fäden spinnen. überhaupt fällt die uhr hier aus der zeit heraus und die gegenwart wird ganz geräumig. ich kann mich in frieden auslassen und meinen wahrnehmungen hingeben.





mulimodus

erst allmählich komme ich vom mulimodus zur ruhe – wir haben jetzt zweimal jeden tag den platz gewechselt, zu kurz, um wahr zu werden. 

bei der suche nach der zufahrt zum markt in reutlingen haben wir uns in engen sträߟchen verfangen. dagegen war die fahrt von münsingen nach reutlingen ein genuߟvolles spiel.




das ist das einzige bild aus reutlingen. es beschreibt ganz anschaulich, wie unser tag gelaufen ist.

im anschluߟ bin ich dann fast vier stunden durch ein nasses sauwetter in die dunkelheit hinein bis zur omnibus haltestelle tempelhof gefahren und konnte mich kaum dazu bringen, diese zeilen zu schreiben …