der richthof

ist eine inspirierende haltestelle – ein heiliges dorf im wald. in besinnlicher stille sind wir unseren spuren gefolgt.

ich habe in einem buch über die edo-zeit gelesen, auf das mich enoch aufmerksam gemacht hat: das ist die zeit von 1603 bis 1868, bevor sie die westliche pest hereingelassen haben. wie die japaner 250 jahre lang gelebt haben, kam bolo‘ bolo schon ziemlich nahe. die bildung war freiwillig & allgegenwärtig. während in europa die alfabetisierungsrate bei 20 & lag, lag sie in japan bei 60 %. land- & forstwirtschaft wurden nach permakulturellen regeln betrieben. es gab fast keinen müll. die menschlichen ausscheidungen wurden in den ökologischen kreislauf eingespeist. die stadtbevölkerung verdiente sich damit ein zubrot, ihre scheiߟe über eine ausgeklügelte infrastruktur an die bauern zu verkaufen. vielleicht ist ja meine faszination im hinblick auf japan damit zu erklären.

jetzt schenkt enoch mir seine erfahrungen als anregende wegweiser für virtuelle reisen ins reich der aufgehenden sonne. durch yunus bin ich voriges jahr um die gleiche zeit schon mal bis pakistan gekommen.

sowas ging mir durch den kopf, als ich in dankbarer vergegenwärtigung diese beiden richthof-morfos gemacht habe:

blauer sonntag

normalerweise fahren wir am sonntag mittag von unserer wochenendhaltestelle weg – dieses mal brauchen wir erst morgen mittag nach butzbach zu fahren, dem ort unseres letzten auftritts …

wir kommen in den genuߟ eines vollen sonntags – in goldener abgeschiedenheit:

ich kann nachsinnen über eisenach und die vielen fäden, an denen ich spinnen konnte. nach & nach sikkert ein, daߟ die letzte woche auf diese wunderbare weise angefangen hat – besser gehts nicht.

goldener november

der tag der baumpflanzung hat uns jetzt was beschert, das der oktober bisher nicht hingekriegt hat: einen leuchtenden herbst zum wegschwimmen …

unsere band hatte hohen besuch: am donnerstag nachmittag ist gabriele für zweieinhalb tage zum omnibus gekommen – ein frohes wiedersehen für christopher & mich und ein erfreuliches kennenlernen für pia & pauline. es ergab sich ein munteres zusammenspiel, heute in der früh ergänzt durch enoch, meinen jüngsten bruder.

zur veranstaltung im kunstpavillon und zur pflanzung heute kamen dann unverhofft viele freundinnen, die schon jahre nicht mehr oder noch nie da waren – die alle aufzuzählen würde hier zu weit führen. ich bin noch ganz erfüllt von lebhaftem inter-esse und fühle mich frisch gewappnet für die letzte woche.

nach einem schönen langen abschied sind pia, christopher & ich bei strahlendem wetter gen westen gefahren, zum richthof – mitten im wald, an der jungen fulda – eine meiner lieblingshaltestellen, wo wir ganz bereitwillig empfangen wurden.

„ich bin nichts“

sagte pia heute auf die frage, ob sie vegan oder vegetarisch sei …

… und wir (die mit ihr zusammenleben) haben schallend gelacht. sie ist unser aller sonnenschein in dieser anstrengenden zeit.

charlie‘s angels

wenn ich es recht überlege, sind meine tauglichen enkelinnen wirklich meine engel – und ich bin fein raus und brauche nicht mehr manieristisch zwischen alfamädchen & gutartigen riesen zu unterscheiden – alle sind sie engel. ich verstehe, daߟ wir ihnen die führung in die hände legen sollten und damit in einem komplementären sinn ihre engel sein könnten, indem wie ihnen demütig unsere er-fahrungen schenken.

in diesem jahr war das leben am omnibus unter extrem wexelnden umständen unglaublich reichhaltig – die überraschendsten frischlinge sind aufgetaucht – und wir haben in hundert besetzungen alles gegeben. wenn wir die hoheit über das geschehen hatten, ist es immer friedlich zugegangen und wir haben viel freude aneinander gehabt und einen völlig lokkeren umgang gefunden …

ich bin mitten in diesem flüchtigen schwarm – spinner & knotenpunkt eines netzwerks, das sich ständig erneuert und – was raum & zeit angeht – heftig oszilliert. unmöglich, mit allen engeln analog in verbindung zu bleiben. ich übe mich darin, mich dem netzwerk anzuvertrauen und mich tragen zu lassen …

damit fahre ich am besten.

halb fünf

und dann wird es rapide zappenduster. heute hat eine sturmbö unsere ganzen mappen, broschüren, blumen & steine weggefegt und weiträumig über den platz verteilt – da kam leben in die bude: freundliche passantinnen haben beim zusammenklauben geholfen und es entstand eine mitfühlende stimmung …

übrigens:

nach endlosen zwei jahren ist endlich pauline wieder im omnibus – einmal hatte ich mich schon vergeblich auf sie gefreut. ihre freigiebige gegenwärtigkeit ist das beste heilmittel für diese knochenwoche – sie war sofort mit pia & christopher ein herz & eine seele. die drei halten mich bei laune und lassen mich gleichzeitig in ruhe opa sein. ich kann nur hoffen, daߟ sie im umgang mit mir mein alter wegabstrahieren können.

der omnibus entwickelt erste zipperlein, nachdem er doch die italien-tour so lokker & fehlerfrei geritten ist. bisher hatte es fast nie geregnet und am sonntag sind wir sozusagen unter wasser nach erfurt gefahren – jetzt knatscht es unter dem tränenblech und überall sind pfützen & rinnsale, deren herkunft unklar ist. beim anlassen macht er komische geräusche. jetzt ist es an mir, ihn bei laune zu halten, indem ich die ruhe bewahre.

da bin ich wieder

das frieren hat mich vollkommen fertiggemacht – in der nacht & am morgen habe ich gehustet wie ein wildgewordener hirsch und womöglich hatte ich auch ein leichtes fieber. immer mehr klamotten, icebreaker unterwäsche – alles hat nicht geholfen und abends konnte ich nur noch vor meinem kamin sitzen und lesen …

das wochenende haben wir da verbracht, wo wir auch schon am vorigen wochenende gewesen sind: auf halber höhe über meiningen, nur zu erreichen über eine straߟe mit 15 % gefälle, die wir also auf keinen fall in der gegenrichtung fahren könnten. vor einer woche war ich da noch barfuߟ unterwegs.

pia & christopher haben mich tapfer durch die woche getragen, die auch vom ergebnis her ziemlich deprimierend war. den ganzen tag über gab es heiߟgetränke und sobald die türen des omnibus zu waren, wurden alle heizungen angeschmissen. ich habe keine abendspaziergänge gemacht und bin abends um elf ins bett gegangen.

ein erfreulicher tupfer war, daߟ holger auerswald mich besucht hat, ein engagierter & bestens vernetzter protagonist der beiden thüringer volksbegehren. vor elf jahren war er für kurze zeit der halter des omnibus, weil jemand uns ein nummernschild geklaut hatte und wir auf keinen fall unsere arbeit unterbrechen wollten. wir haben ihm anschlieߟend den kfz-schein und die nummernschilder geschenkt. das war in suhl, wo er zu der zeit fraktionschef der linken war. in suhl hatte ich schon ausschau nach ihm gehalten und erfahren, daߟ er inzwischen aufs land gezogen war.

umso mehr habe ich mich gefreut, als er uns in meiningen besucht hat. er hat geheiratet und ist der glückliche vater von zwei kindern. als männliche rollenvorbilder kenne ich ja sonst nur die „gutartigen riesen“ vom omnibus und meine brüder. ihn würde ich als gutmütigen bär bezeichnen. unser wiedersehen war ganz herzlich & warm.

das gute an meinem kaputten rhythmus war, daߟ ich eine umfangreiche biografie von leonard cohen gelesen habe.

heute dann: der endgültige einbruch: die zeitumstellung – jetzt wird es um halb fünf dunkel. wir sind über den rennsteig nach erfurt gefahren. durch die wolken. oben hat es geschneit. ansonsten graue suppe.

und ich habe das gefühl, ich bin über den berg – mach meinen abendspaziergang und sitze ohne heizung und mit nackten füߟen um viertel nach eins bei kerzenlicht und schreibe …

jubiläum

mir ist eingefallen, daߟ ich vor genau achtzehn jahren genau hier meine jungfernfahrt betrieben habe – die städte, durch die ich fahre, waren stationen dieser ersten fahrt. meine liebe zum osten wurde da geboren.

ohne das zu wissen, hat mir pia heute das feierliche bild mit dem regenbogen geschenkt und mir ihre augen für einen blick von oben geliehen:

ich kann mich nur wärmstens für mein leben bedanken – bei wem auch immer. ich bin noch ganz voll mit italien – der alltag dort war musik für meine augen. ich will versuchen, meinem alltag hier die gleiche aufmerksamkeit & offenheit zu widmen, um die musik der gemeinden zu hören.

inzwischen

ist das wetter so gnadenlos abgestürzt, daߟ die zeit der nackten füߟe wohl vorbei ist. gestern abend habe ich meinen spaziergang ausfallen lassen und bin für meine verhältnisse ziemlich früh ins bett gegangen. pia & christopher bewähren sich glänzend unter diesen extremen umständen. wir schnattern und lassen uns nicht die laune verderben. dieses bild von pia & mir prangte heute in der zeitung, die seit den tagen der ddr „freies wort“ heiߟt (war das eine raffinierte form von ironie?).

wir waren zwei tage in suhl und standen an zwei verschiedenen plätzen. seit dem ende der ddr sind hier mehr als ein drittel der einwohnerinnen abgewandert und über 5.000 wohnungen „rückgebaut“ (so nennen die das wirklich) worden.

das ist der waffenschmied. er ist das wahrzeichen der stadt, denn seit dem 14. jahrhundert werden hier waffen hergestellt und die berüchtigte kalaschnikow (ak47) wurde hier erfunden und hat sich dann wie ein tückischer virus auf der ganzen welt verbreitet. die helle spitze rechts unten ist eine kapelle, zu der pia & christopher am sonntag hinaufgestiegen sind:

gaaanz winzig steht da der omnibus auf dem markt, gleich gegenüber von einem kaufhaus, das in den dreiߟiger jahren von den nazis „arisiert“ wurde und damals wahrscheinlich der inbegriff von moderner architektur gewesen ist. mich hat es sehr an das tortenstückartige warenhaus von mendelsohn in chemnitz erinnert, das heute ein museum ist.

im rathaus konnte mir niemand die frage beantworten, wer das wann gebaut hat. auch am & im gebäude gab es keinen hinweis. dafür aber ringsum die grauenhaftesten hochhäuser & plattenbauten, in denen vorwiegend alte menschen leben. hoffentlich fallen da nie die aufzüge aus.

früher habe ich meist vor einem brunnen gestanden mit einer wild bewegten jagdszene – die war zerlegt und wurde gerade restauriert.

in der stadt habe ich einen ahorn entdeckt, an dem nur noch die samen hingen – irgendwie widersinnig, oder?

the blues is takin‘ over …

das meinte ich

mit „armer herbst“ – christopher hat es zur veranschaulichung heute auf der fahrt für mich aufgenommen – und ein weiteres, aus dem ich einen remix mit dem titel „wilder herbst“ gemacht habe:

ich streife herum und horche, was die bäume sagen.

auf einer tiefer schürfenden ebene finde ich überall manifestationen von unverwüstlicher lebendigkeit & schönheit.

das tröstet mich und hilft mir, das leben zu vergegenwärtigen und mein subjektives mitgefühl zu entwickeln & blütenstaubartig in der welt zu verbreiten.