salto mortale

nach einer kontemplativen fahrt durch schöne dörfer & landschaften sind wir in eine völlig kontrapunktische welt gepurzelt – waren am groߟen müritzsee, inmitten der mecklenburgischen seenplatte. direkt nach der übernahme haben sich die touristikkonzerne des westens auf diese zeitlos schöne attraktion gestürzt und ihre industrielle ausbeutung begonnen. ich war seit 15 jahren nicht mehr hier und muߟ mich ganz neu orientieren – ich erkenne kaum was wieder unter dem mantel der bequemlichkeiten des massentourismus.

wohlgemerkt: es ist weiterhin traumhaft schön hier und die verwaltung funktioniert wie geölt. ich frage mich nur, ob die ureinwohnerinnen auch etwas davon haben und versuche, die reichen rentnerehepaare aus dem westen samt ihren sündhaft teuren elektrischen fahrrädern & yachten wegzuabstrahieren.

auߟerdem ist unverhofft katharian zum omnibus gekommen, der im alter von drei jahren zusammen mit seiner mutter zum ersten mal mitgefahren ist. wir erinnern uns beide mit vergnügen daran, wie ich ihm während der fahrt das wort „exterritorial“ beigebracht habe. jedes mal, wenn er in den omnibus kommt, fühlt er sich sofort zuhause. so war es auch im letzten herbst in weimar, als wir uns nach acht jahren wiedergesehen haben. ich fühle mich mit ihm unmittelbar voll verbunden und freue mich schon auf die zusammenarbeit.

genuߟvoller abschied

in schönstem einvernehmen haben wir heute das pfarrhaus zur omnibus-haltestelle gekürt und allerlei pläne geschmiedet …

die unermüdliche corinna als treibende kraft hinter dem regionalentwicklungsprojekt „künstlerstadt kalbe“ sucht händeringend studentische hilfe und hat ziemlich einmalige konditionen zu bieten: 500 euro im monat und kostenloses wohnen in der ehemaligen bademeisterwohnung im freibad, das auch zugänglich ist. auߟerdem gibt es noch 1.000 euro für die entwicklung eines eigenen projekts und viele dankbare aufgaben & freiheiten. wir haben dieses städtchen richtig liebgewonnen und sehen tausend potentiale für die fachrichtungen kunst, musik, ppö, kulturwissenschaften, architektur & raumplanung, regionale ökonomie … usw.

wer konsequent und in himmlischer ruhe seinen fragen folgen und seine eigenen potentiale entdecken will, kann hier unter optimalen bedingungen angewandte wissenschaften betreiben.

mea culpa

ich habe den tod einer üppigen hortensie auf dem gewissen – sie akzentuierte perfekt die märchenhafte atmosfäre. ich habe mich damit getröstet, daߟ ich nun seit zwei jahren keine rosen mehr gemordet habe, seit die rose, ohne die wir es bekanntlich nicht tun, eine von frauen aus dem erzgebirge vor langer zeit in heimarbeit kunstvoll angefertigte rose ist, an der ich meine helle freude habe, weil sie beweist, daߟ wir heilung in der kunst finden können.

dankbar schenke ich den lebendigen artgenossinnen meine volle aufmerksamkeit und fertige meine eigenen morfos an.

die letzte nacht an der milde

ist jetzt angebrochen und die teilnehmer des potentiale festivals haben sich in alle winde zerstreut.

da ganz hinten in der groߟen scheune habe ich gestern nacht getanzt – im innenhof brannte ein feuer in einer groߟen metallenen schale, die wie ein wok aussah.

heute mittag gab es dort ein veritables abschluߟkonzert der „all stars“, die bedauerten, daߟ sie nicht schon früher alle zusammen gespielt hatten. in bester stimmung haben sich alle verabschiedet und gabriele & ich hatten zeit für uns und unsere ortserkundungen.

archetypisch

sieht das nicht aus wie eine szene aus „herr der ringe“ ?

heute habe ich mich mit dem pfarrer der uralten feldsteinkirche angefreundet – er ist hier in seiner heimat seit 28 jahren dorfpfarrer und hatte nie weiter gehende ambitionen. sein vater war bauer – später in der ddr war er in der lpg der einzige studierte agronom, hat sich aber damit zufrieden gegeben, als melker zu arbeiten. da ist es kein wunder, daߟ sein sohn ein echter seelsorger geworden ist.

als wir uns kennenlernten, hatte er erst mal die langweiligen standardargumente der sogenannten politikwissenschaftler abgespielt – war aber total hilfsbereit & freundlich. er hat uns an den strom angeschlossen und den weg zu den toiletten gezeigt. wir durften seine waschmaschine nutzen und er hat in unserem gespräch ernsthaftes interesse gezeigt und dankbar unsere informationen mitgenommen.

heute hat er dann vorsichtig & höflich gesprächsbedarf angemeldet und wir haben im omnibus zwei stunden intensiv miteinander über gott & die welt geredet und unser wesen abgeglichen. als erforscher von ddr-biografien habe ich viel gelernt und er hat meine arbeit verstanden und mir herzlich glück & erfolg gewünscht.

die kalber können sich glücklich schätzen, so einen friedfertigen & hingebungsvollen pfarrer zu haben.

ein sinnenschmaus

das potentiale festival ist ein sinnenschmaus und die milde macht ihrem namen alle ehre. ganz viele rheinländerinnen aus dem dunstkreis des moerser jazzfestivals sind hier und die genauso unbekannte partnerstadt in nordrhein-westfalen heiߟt neukirchen-vluyn das ist in meiner alten heimat. gemeinsame bekanntschaften tun sich auf und neue eröffnen sich. virtuose musikerinnen sind hier. aber die ersten konzerte, die ich gehört habe, klangen abgehackt & akademisch verkrampft – als ob die musiker schmerzen oder verdauungsstörungen hätten. untanzbar.

während wir beschwingt vor dem pfarrhaus standen und ich das buch von gandalf über den ballengang gelesen habe. hier hatte ich das beste pflaster zum üben …

in der schönen alten feldsteinkirche habe ich dann gestern nacht ein orgelkonzert angehört – links oben in dem hellen streifen ist unten ganz klein der kopf des organisten zu sehen:

heute wurden die konzerte immer besser und die musiker, die zum teil noch nie miteinander gespielt hatten, stimmten sich ein und sind frei & wild abgeflogen.

und haben mich im grauen zweireiher zum tanzen gebracht, vor allem meine nackten füߟe, denn nun konnte ich praktisch anwenden, was ich von gandalf gelernt habe. meine fesseln lösen sich und ich spüre einen neuen dynamo. horizonte öffnen sich.

kalbe an der milde

kosename: stadt der hundert brücken. das wetter ist hochsommerlich und die zeit träufelt gemächlich dahin. leicht gespenstische funkstille auf den digitalen kanälen …

da küssen mich die musen und ich arbeite an meinen morfologischen studien:

ich überlege, diese freien arbeiten „morfo“ zu nennen, neutrum, plural „morfos“ …

wie gern würde ich die mal ausgedruckt in den händen halten. das sind ja meine reportagen. ich komme einfach nicht dazu, meine bestellung aufzugeben. jetzt ist es zum beispiel wieder viertel vor drei – also: gute nacht allerseits

potentiale

das ist das wahrzeichen des ersten potentiale festivals in kalbe an der milde, das die unermüdliche corinna köbele auf die beine gestellt hat. thema: ost-west. sie hat – vor jahren aus dem westen kommend – in kalbe an der milde ihr zelt aufgeschlagen und sich behaglich niedergelassen. seitdem tut sie alles dafür, die potentiale & attraktionen von kalbe herauszuarbeiten und mit vielerlei angeboten die welt (auch in gestalt von geflüchteten & lebenskünstlern) nach kalbe zu locken und die kalberinnen aus ihren häusern. für sie ist das festival auch so eine art erntedank.

das ist ein tipi, das jeweils 20 frauen aus zwei weit auseinanderliegenden städtchen zusammen gestrickt haben. in ost & west. bunt & totemistisch. bescheiden & voller lebensfreude.

wir stehen gegenüber einer massiven neunhundertjährigen feldsteinkirche vor dem pfarrhaus, von wo wir auch mit strom & klos versorgt sind. wir haben ausgedehnte spaziergänge unternommen. an vielen stellen verwildern verlassene immobilien und werden von der natur verdaut, die im augenblick üppig aufblüht.

auch ich sehe lauter potentiale und bin eifrig am spinnen. zum beispiel würde ich gerne holger & gandalf mit freya & den enkelinnen & allen anderen interessierten in verbindung bringen.

und ich übe mich rund um die alte kirche sinnend im ballengang auf diesem höchst ausdruxvollen pflaster. shihatsu kann ich da nur sagen und mich stufe um stufe verbessern:

erntedank

der hellblaue schimmer im zentrum ist die ostsee am schwedeneck. dies ist schon wieder eine traumhafte hofausfahrt, durch die ich mich nur gemächlich schaukelnd bewegen kann. gut hohenhain ist sofort zu einem geheimfavoriten des omnibus geworden. wir waren mit allem versorgt und wurden vollkommen in frieden gelassen. wir konnten uns in ruhe regenerieren und ich hatte diesen schönen abschiedsabend mit deva. gabriele hat die ganze nacht durchgeschlafen …

gleichwohl haben wir die gelegenheit ergriffen, uns mit burkhard von langendorff, dem möglicherweise adligen gutsherrn, herzlich anzufreunden. spät in der nacht hat er noch einmal nach dem rechten gesehen und uns angeboten, morgens frische brötchen zu besorgen. zum abschied bekamen wir in seiner küche espressi kredenzt und wurden für immer willkommen geheiߟen. zu ihm kommt übrigens mein namensvetter immer zum ausspannen.

in einem gespräch mit gabriele über unseren gemeinsamen gemütszustand hat er die agrikulturelle metapher „die ernte ist eingefahren“ verwendet. in meinem kopf machte es „pling“ und ich verstand, daߟ „erntedankfest“ am besten den charakter unserer schönen abschiedsveranstaltung beschreibt.

das war die beste unterschriftensammlung, die ich je gemacht habe – ich habe gelernt, der jeweiligen band & den jeweiligen umständen voll zu vertrauen und mir darüber auch keine gedanken zu machen. ich kann den dirigenten am besten ausspielen, indem ich alle frei lasse.

am besten hat mir übrigens die friedfertigkeit der initiative gefallen. sie ging nicht gegen etwas. der gestus war konstruktiv & empathisch. die motivation lag in der elementaren bedeutung des wassers und in der gemeinsamen verantwortung dafür. eine unausweichliche gewissensentscheidung. das hat einen wärmesog entwickelt, der die ganze initiative mit vitaler energie versorgt hat. es geht um die suche nach einer friedlichen lösung unter menschen, von der juristische personen ausgenommen sind. die protagonistinnen, vor allem reinhard knof, kann ich nur bewundern. ich werde sie alle in dankbarer erinnerung behalten.