blues

auf diese absurde wandmalerei habe ich jetzt zwei tage beim frühstück geschaut – auf dem gegenüber liegenden haus …

ich habe mit hoch gestellten füßen im „schulze-delitzsch“ gelesen über die grundlagen der genossenschaftsidee und habe immer wieder an die „grüne perle“ gedacht …

abends bin ich rumgestreift mit archäologischem interesse. es war so heiß, daß ich tagsüber obenrum immer nur das flamingohemd anhatte.

lisa hat mit dem faltrad die gegend erkundet.

hier schon mal als vorgeschmack das suchbild grimma:

döbeln

obwohl es nicht mehr einheimische als delitzsch hat, kommt döbeln großstädtisch daher – es gibt straßenblöcke wie in berlin – mindestens fünf stockwerke – gründerzeitlich protzend – eine obszöne materialschlacht – da ist mir die bescheidene traufhöhe von delitzsch viel lieber.

und alles ist wie blank gefegt. am rathaus ist eine tafel angebracht mit der hochwassermarke von 2002: alles, was auf dem bild zu sehen ist, stand übermannshoch unter wasser und war anschließend mit giftig stinkendem schlamm überzogen – bei den aufräumarbeiten haben sich kinder & jugendliche besonders hervorgetan.

etwas ähnliches habe ich über passau erfahren, wo die vielen studenten nicht besonders wohlgelitten waren – bis zu ihrer spontanen & freiwilligen, digital organisierten hilfe nach einem katastrophalen hochwasser. da fällt mir „im grunde gut“ ein – womit ich versuche, meine band zu inspirieren.

die beiden tage hier waren heiß & lahm. wenn es nicht am zweiten nachmittag ein hübsches crescendo gegeben hätte, könnten wir nicht zufrieden sein.

lisa hatte in der nähe einen platz fürs wochenende organisiert, zu dem wir frohen mutes aufgebrochen sind.

das wuchs sich dann aus zu einer zweistündigen odyssee durch das säxische hinterland – über sträßchen, wo nicht mal zwei normale autos nebeneinander passen. rauf & runter und durch atemberaubende kurven. runterhängende äste strichen über unser dach. ich habe vollkommen die räumliche orientierung verloren und bin ungläubig den anweisungen von lisa gefolgt – wir waren ja nicht weiter als 20 km luftlinie von döbeln entfernt. am ende haben wir die adresse gefunden, in einem winzigen dörfchen – aber niemand wußte von uns, und unsere einladerin war nicht da. ich wollte auf keinen fall dort das wochenende verbringen – der rückweg war genauso abenteuerlich wie der hinweg. jetzt stehen wir da, wo wir hergekommen sind – mit dem hintern zur mulde, die hier zuweilen viel unheil anrichtet.

hier werden wir ein bluesiges wochenende verbringen.

zeitblitz = 1 ps

aus heiterem himmel kam eine historische pferdestraßenbahn vorbei und versetzte mich 150 jahre zurück. fröhlich ging meine fantasie mit mir durch in die welt der pferde …

dieser voll besetzte waggon wurde mit 1 ps bewegt – im sehr gemütlichen puls der zeit vor den autos – ich will nicht wissen, wieviele ps die beleidigend häßlichen suv’s haben, in denen durchschnittlich nur ein mensch sitzt. der blanke irrsinn.

ich habe mich nie besonders für das biedermeier interessiert – in letzter zeit taucht es immer wieder auf: schulze-delitzsch ist ein leuchtendes beispiel. mir geht auf, daß das biedermeier die verschollene ära der muskelkraftmaschinen war, in der auch – so gut es ging – erneuerbare energien eingesetzt wurden.

der scheiß verbrennungsmotor hat das alles zunichte gemacht und unmenschliche gewalt & häßlichkeit entfesselt.

ungeheuer

das rathaus von döbeln ist ein gründerzeitliches ungeheuer – für eine stadt mit 25.000 einwohnerinnen. mir ist das ein rätsel.

wir stehen winzig klein davor … neben einer großen erdbeere … und die proportionen tanzen.

die altstadt ist umflossen von der mulde und war seit 2000 zweimal von hochwassern überschwemmt, von denen keine spuren mehr zu sehen sind. auf der suche nach dem fluß bin ich gestern nur auf einen leeren breiten kanal gestoßen, der wohl bei hochwasser als vorfluter eingesetzt wird.

die schnittstelle zwischen fluß & kanal habe ich dann heute gefunden – nach einem heißen ernüchternenden arbeitstag.

die meisten menschen, mit denen wir sprechen, sind fassungslos entsetzt über die berliner politik und können ihre gesunde wut nur durch ständiges aufzählen aller ungereimtheiten und wildes schimpfen abreagieren – da bedarf es seelsorgerischer fähigkeiten, sich da einzuklinken und zu einem friedfertigen austausch zu kommen.

wirtschaftlich bringt das erstmal nix ein.

roßplatz mit lisa

es ist soo beruhigend, nicht mehr allein zu sein. mit lisa bin ich gleich unisono – ohne viele worte. ich kann meine wahrnehmungen, was raum & zeit & menschen angeht, mit ihr abgleichen und habe die muße, nach herzenslust zu fabulieren …

… und meine spaziergänge zu zelebrieren. es gibt überall so viel zu entdecken.

der roßplatz war viel besser als der markt – aber wir hatten vergleichsweise wenige gespräche – da muß ich mich daran erinnern, daß die menge kein kriterium ist und mich voll der gegenwart hingeben, um bei laune zu bleiben.

und für hermann schulze-delitzsch bin ich ewig dankbar.

schulZe delitzsch

ich bitte vielmals um entschuldigung – hab ich doch bisher immer schulTe delitzsch geschrieben.

die große buchhandlung war eine enttäuschung: die hatten nichts über den berühmtesten sohn ihrer stadt – da bin ich gleich rein, als die heiß erwartete lisa zur wachablösung bereit war. ich wollte möglichst viel über ihn erfahren, weil er in einer zeit wirkte, als massen von proletariern damit begannen, in unvorstellbaren ausmaßen waffen herzustellen und arglos den kapitalistischen leviathan zu entfesseln …

also habe ich mir zeit für das „schulze delitzsch haus“ genommen, das als „immaterielles weltkulturerbe“ ausgezeichnet ist und mich voll in seinen bann gezogen hat …

ein kundiger mann hat mich liebevoll betreut und alle fragen beantwortet – und ich habe mich durch das haus treiben lassen und interessante dinge erfahren, zum beispiel, wie er zu seinem namen gekommen ist: er war mit großem zuspruch in den preußischen nationalrat gewählt worden und: um ihn von anderen schulzes zu unterscheiden, ist sein heimatort hinzugefügt worden …

er war ein anwalt der „kleinen leute“, die den vorindustriellen laden bis dahin am laufen gehalten hatten – und damit auch ein echter demokrat. während in seinem fokus die handwerker & gewerbetreibenden waren, hatte sein rheinischer zwillingsbruder raiffeisen eher die bauern und die landwirtschaft im blick. ich schwebte auf wolken der inspiration und habe noch eine 450-seitige festschrift zu seinem 200. geburtstag am 29. august 2008 erworben:

hermann schulze delitzsch

weg – werk – wirkung

und übrigens – es war die genossenschaftsbank als „demokratische“ körperschaft, die dort erfunden wurde – ganz im gegensatz zur „juristischen person“, die soviel unheil in der welt anrichtet – neuerdings mit popkultureller gewalt.

der roßplatz

das hat richtig freude gemacht, mich da zu plazieren. links ist die buchhandlung. von allen seiten laufen straßen auf den platz zu und hinter mir ist der wassergraben mit den seerosen und die stadtmauer. abends habe ich mich wieder rumgetrieben und mir die parks und das barocke schloß angesehen.

da war wohl mal wasser drin, denn oben rechts ist der haupteingang –

auf dem rückweg in die stadt habe ich noch einen hohen torturm entdeckt, der wie ein kirchtum aussieht

der andere steht gleich neben dem OMNIBUS …

oder von hinten

und nach großer runde – wieder daheim:

der marktplatz

ist zwar der kern der alten stadt – da ist das rathaus, eine apotheke, die sparkasse und ein pizza auslieferator. rundum nur gepflasterte gassen. von außen nicht einzusehen.

ich stand den ganzen vormittag in der sonne und wartete auf passanten. mein sachbearbeiter aus dem amt kam vorbei, um mir den elektranten hochzukurbeln und bestätigte meine ahnung, daß der roßplatz viel lebendiger sei. in der altstadt seien keine geschäfte mehr und das leben habe sich in richtung bahnhof verlagert. er hat einen stadtplan geholt und mir den weg erklärt – wie gesagt: lauter enge gassen ! am nachmittag bin ich die strecke mal zu fuß gelaufen. der tag war eine echte geduldsprobe – eine frau hat mit großer geste 10 euro in die dose gespendet.

es geht wieder los mit den hortensien: