lieber enoch & danke für alles !
Allgemein
zeige meine wunde
alter weißer mann – mit weißen haaren.
mir geht’s prima in diesen kleinen abgelegenen städtchen – ein sanftmütiges paralleluniversum mit lauter freundlichen menschen .
mit lisa & enoch bin ich in einem lässigen ungeraden rhythmus voll eingespielt und habe deshalb viel freiraum für wunderfitzige archäologie, dem strom des alltags voll hingegeben. besser gehts nicht.
es ist kalt und wird erschreckend früh dunkel. nix für nackte füße. wie gut wir frieren können ist ein beweis für unsere virtuosität – bravissimo!
enoch ist abgereist und wir haben vereinbart, seiner lieben mutter dieses gemeinschaftswerk zu schenken …
neustrelitz
das „neu-“ liegt hier 250 jahre zurück: da wurde diese retortenstadt als herzogliche landeshauptstadt neben ein monströses schloß am zierker see aus dem boden gestampft – wie wolfsburg von den nazis – und später die plattenbau-riegel in der ddr.
das monsterschloß ist weg, aber eine elegante neugotische schloßkirche und ein englischer garten mit kleinen tempelchen sind erhalten geblieben. es gibt einen stadthafen, wo wir das wochenende auf einem wohnmobil stellplatz verbracht haben.
ein stilles kleines städtchen, wo einen nichts anschreit und die straßen gepflastert sind. obwohl es am ersten tag trostlos geregnet hat, waren die atmosfäre entspannend und die menschen freundlich & gelassen.
schräg gegenüber war ein „familiencafe anna & otto“ mit einer fünf-sterne-toilette: neben der „erwachsenen“-toilette gab es noch eine kinder-toilette. ein birkenstamm ging vom boden bis zur decke und an den wänden zwitscherten hübsche meisen. auch im cafe hatten die kinder genauso viel raum wie die erwachsenen. für junge familien ist das leben hier schön erschwinglich.
lisa & enoch nutzen mit vergnügen das omnibus faltrad …
neues von meister peh emm
in der oya habe ich erfahren, daß mein anonymer meister peh emm ein neues buch geschrieben hat – im hirnkost verlag. ich hab mir das begeistert gleich in neubrandenburg dreimal besorgt. ein wunderschönes kleines büchlein mit rotem lesebändchen. labsal für meine kriegsversehrte seele. unverblümt & praktisch.
am liebsten würde ich das in der welt verteilen wie die „blütenstaubwirtschaft“ meines freundes georg hasler – der könnte dem hirnkost verlag von meinen bestäubungskünsten erzählen.
von allen schreiberlingen ist mir hans widmer der liebste – ich vertraue ihm blind und trinke dankbar seine worte. bolo bolo liegt immer hinter meinem fahrersitz und ich preise es allen mitfahrerinnen an.
dieses mal ist die welt in fünf modulen vernetzt:
16 millionen nachbarschaften (glomo 1)
400.000 quartiere/kleine städte (glomo 2)
4.000 große städte/regionen (glomo 3)
800 territorien (glomo 4)
1 welt (glomo 5)
also: unbedingt lesen – das stiftet inneren frieden.
kulturfinger
so nennt der volksmund den „ddr-wolkenkratzer“, neben dem winzig klein der omnibus steht. „HAUS DER KULTUR UND BILDUNG“ so nennt sich das ensemble aus den sechziger jahren, das eine frau als bebauung der nordseite des großen quadratischen marktplatzes entworfen hat. dreißig jahre nach dem ende der ddr ist das daraus geworden:
der platz ist inzwischen voll dem konsum geweiht und für den weihnachtsmarkt optimiert. das wetter ist scheußlich kalt & naß.
der historische stadtkern wurde im april 1945 von der roten armee niedergebrannt – dieses schicksal hat einige mecklenburgische städte ereilt, deren einwohnerinnen in die wälder geflohen waren. dabei blieb eine urtümliche stadtmauer mit vier ausdrucksvollen backsteingotischen toren fast vollständig erhalten, umgeben von wassergräben und alten bäumen.
der denkbar größte kontrast zur neuen mitte. ich reise gern in diese zeit zurück und schau mich um …
heiliges bolo
klein jasedow ist mein liebster bolo wallfahrtsort – ich kann dort ganz bei mir sein – inmitten vollbeschäftigter menschen – libertarian municipalism at it’s best – wunschtraum aller haushälterinnen & landwirte – dazu versuch ich unverdrossen, möglichst viele menschen anzuregen – intrinsisch motiviert heilend in das geschehen einzugreifen. mit so wenig worten wie möglich.
und ich kann ausgiebig „meinen“ großen erdgong spielen – dieses mal habe ich alle werkzeuge beiseite gelassen und festgestellt, daß die dünnen ärmel meines grauen cardigan schon den entscheidenden unterschied zu den nackten händen bilden. ich kann unmittelbar in den energiestrom der musikalischen wildnis eintauchen und alle spannungen loswerden. alle jahre wieder ein heiliges fest.
ich bin jedes mal rundum zufrieden und versuche, an möglichst viel bolo alltag teilzunehmen und das ganze gelände durch die brille der
zu erfassen. ich konnte mich ganz in ruhe mit matthias austauschen, bücher & oya exemplare auffüllen und pläne schmieden.
am sonntag haben wir auch noch die eltern von hendrik kennenlernen können, weil die großeltern so vom omnibus geschwärmt haben, daß sie ihn höchstpersönlich abgeholt haben. zum abschied ist er omnibus-förderer geworden. ich habe gern mit ihm gearbeitet und freue mich schon auf weitere gelegenheiten …
flugträume
ich war im otto-lilienthal-museum und habe erfahren, daß er glaubte, mit dem fliegen würde frieden über die welt kommen, weil grenzen dann sinnlos wären …
in der marienkirche, die bereits in den 30-er jahren restauriert wurde, habe ich wieder diese morgenländisch-frohsinnigen farben gefunden und mußte an christopher alexander denken – da paßte auch dieses alte modell der stadt perfekt:
die kasematten & mauern, in die die altstadt eingeigelt war, hat der alte fritz einebnen lassen und durch kleingärten ersetzt, weil sie so mühsam zu erobern und nach der hansezeit immer heftig umkämpft war von schweden, dänen, pommern, brandenburgern & preußen.
endgültig zerstört wurde die altstadt im april 1945 durch die luftwaffe der nazis, weil sich die stadt ohne blutvergießen der sowjetarmee ergeben wollte.
im lauf der jahrhunderte ist sie mehrmals abgebrannt und dreimal von der pest heimgesucht worden – zuletzt am anfang des 18. jahrhunderts.
an der stelle, an der einst das gotische rathaus stand, befindet sich nun dieser springbrunnen. insgesamt war unser gastspiel sehr aufschlußreich und ich werde gern immer wieder kommen, wenn ich anschließend meine heilige oase in klein jasedow besuchen kann.
anklam
anklam beflügelt meine sinne und hat mein tiefes mitgefühl – eine vom schicksal schwer gebeutelte hansestadt, die ihre blütezeit vor 500 jahren hatte.
in den drei tagen habe ich alle tentakel ausgefahren und ganz viel neues über ihre geschichte und ihren berühmtesten sohn, otto lilienthal, erfahren …
ich bin froh, instinktiv diese kleine stadt „am arsch der welt“ ausgesucht zu haben – statt greifswald, wo sie mit corona-maßnahmen drohten. wir wurden freundlich empfangen und mit allem versorgt. ohne gebühren!
einen greif haben sie hier auch.
hugoldsdorf
eine bessere eremitage hätten wir uns nicht wünschen können. wir wurden von einer wunderfitzigen kinderschar empfangen …
… die sich unbedingt den omnibus anschauen wollte. abends haben wir am feuer gesessen. in einem kessel köchelte eine lekkere bohnensuppe. enoch hat einen eisvogel gesehen und ich so viele schmetterlinge wie im ganzen jahr nicht.
ich könnte auf dem gelände wochenlang herumstromern …
auch hier wieder ein völlig anderes raum/zeit-kontinuum.