kassel

am freitag sind wir nach der arbeit im dunkeln nach kassel gefahren – ohne die landschaft fehlt mir was und das fahren ist mühselig …

bei marianne & hermann haben wir ein wohlbehütetes und mit allem versorgtes wochenende verbracht – das ist meine bewährte lieblingskarawanserei in kassel. neben dem gefängnis.

sonntag nachmittag sind wir auf den königsplatz gefahren und mich bestürmen die schönsten erinnerungen.

zum beispiel an catty wong, die chinesische künstlerin, mit der ich vor zwei jahren die documenta durchstreift habe. gründerin der pink republic. sie hat mich gleich eingebürgert und mir einen paߟ ausgestellt.

ich war seit 1972 auf jeder documenta und lasse mich da immer wunderfitzig rein fallen. vier mal war ich mit dem omnibus auf der documenta und immer wieder zwischendurch in kassel. der königsplatz sieht von oben aus wie ein durchmesserzeichen – ein kreis, durchschnitten von straߟenbahnschienen.

voll dem kommerz gewidmet, tangiert von der jüngsten konsumhölle und in der mitte ziemlich kahl. für einen stromanschluߟ hätten wir 240 euro zahlen müssen. zum ausgleich werde ich mich möglichst viel herumtreiben und den ersten & den letzten baum der „7000 eichen“ berühren und in der neuen galerie „das rudel“ anschauen.

obwohl ich keine groߟstädte mag, finde ich es wichtig, hier immer wieder aufzutauchen …

zukker

das stadtmuseum in beckum war zukker für mein gemüt & nahrung für meine sinne – der freundliche herr am empfang lieߟ sich schön ausfragen. ich habe viel über das wesen der stadt erfahren. unten gab es die liebevolle rekonstruktion eines tante emma ladens (das haus steht noch), eines klassenzimmers und des wohnzimmers eines zementfabrikanten, komplett mit ölportraits von eltern & tochter. die blütezeit der stadt kam mit der industrialisierung: rundum entstanden zementfabriken – im zweiten stock gab es ein modell unter glas und werkzeuge, materialproben. eine ganze wand war eine fotografie, die aussah wie eine mine in brasilien, wo die arbeiter sich in die höhe gestaffelt auf ihre werkzeuge lehnen – für das foto muߟten sie damals ganz still stehen. ob sie sich wohl über die pause gefreut haben?

ökologisch gesehen sind die zementfabriken ein schweres erbe.

im ersten stock gab es eine sehr inspirierende ausstellung: „in medias res“ von anne sommer-meyer, einer künstlerin aus weinheim an der bergstraߟe, die ich mir an beiden tagen wunderfitzig einverleibt habe.

da sind dann lauter quadratische bilder entstanden …

ich sag ja: zukker

beckum blues

beckum war das gegenteil von soest – ein städtchen nach meinem geschmack. wo wir standen war das schlagende herz der stadt – beschirmt & beatmet von vier mächtigen platanen: ein historisch gewachsener, nicht mechanisierter marktplatz mit dem alten rathaus, in dem sich heute das stadtmuseum befindet – eintritt frei.

in allen gesprächen waren die platanen das wichtigste thema: der platz soll mit geld „von oben“ – und damit von auߟerhalb der gemeinde mechanisiert werden. es gibt einen ratsbeschluߟ, daߟ die platanen im november gefällt werden sollen. erst haben sie behauptet, die bäume seien krank – dann, daߟ die bäume die häuser und ihre unterirdische infrastruktur zerstören. dann ist ein bürgerentscheid am zustimmungsquorum gescheitert. jetzt will der bürgermeister das massaker gnadenlos durchziehen.

kaum jemand kennt so viele plätze wie ich. seit ich „the nature of order“ von christopher alexander entdeckt habe, sehe ich überall „muster“ heiliger baukunst. es bricht mir das herz, daߟ dieser platz jetzt so geschändet werden soll. ich kenne tausend beispiele, denen alles leben ausgetrieben wurde – die blank & heiߟ in der brüllenden sonne liegen.

die einwohnerinnen kämpfen weiter – am 20. september kamen 250 bunt gemischte menschen zur kundgebung und freitag gab es am nachmittag (!) eine kleine fridays for future demonstration, bei der die mittlere generation fehlte. wie im omnibus. ich habe ihnen das buch von „extinction rebellion“ geschenkt …

die band ist mal wieder unbeschreiblich weiblich: lisa ist 51 & milena ist 23 & paula ist 16. eine seltene mischung mit ganz neuen klangfarben – vor allem, weil alle drei vorher nur „kampfsammeln“ kannten. ich versuche, mich zurück zu halten, damit sie möglichst nah an die menschen heran kommen. zwischendurch & nebenbei haben wir gelegenheit, den omnibus zu säubern & zu pflegen. wir sind in einem ruhigen & wetterfesten einklang.

soest

soest ist jedesmal ein ausflug in westfälischen wohlstand – im guten wie im schlechten.

letztes mal war ich 2013 hier, im rahmen von „der aufrechte gang“. für den omnibus ist es schweinisch teuer hier: wir haben für drei tage 199 euro gebühren bezahlt ohne stromanschluߟ.

zum vergleich: hier stehe ich jetzt, im viel kleineren & jüngeren beckum – und wir zahlen 10 euro für zwei tage mit stromanschluߟ.

zurück nach soest – ich durfte mir in freundlichem einvernehmen mit der dame vom amt den besten platz aussuchen. das wetter war ein zickzack mit regen. am dritten tag wurde zum ersten mal in der zeitung der kern meiner botschaft leicht verhunzt abgedruckt. ich spreche immer von einer „blankovollmacht“.

die stadt ist uralt und der platz war wunderschön. die ältesten gebäude sind unglaublich massive sakralbauten aus einem grünen sandstein. daraus bestand die ursprüngliche stadt. diese schwerfällige stadt aus grünen steinen wurde (durch krieg?) zerstört und vor circa 500 jahren in fachwerkbauweise wieder aufgebaut – viel organischer & ökologisch intelligenter. jetzt gibt es 600 denkmalgeschützte gebäude. wenn die studiengebühren nicht so hoch wären, könnte ich hier wochen verbringen.

schräg gegenüber: „zum wilden mann“ – da konnten wir die toilette benutzen. im fünfzig meter entfernten reformhaus durften wir uns an den strom anschlieߟen. neben uns im ratskeller konnten wir für sieben euro unseren wassertank auffüllen.

die – am publikumsverkehr gemessen – wenigen gespräche waren umso besser.

ich versuche, mein fazit mal mit einem morfo auszudrücken:

jedenfalls: viel zu teuer !

der rosa gürtel

milena & paula haben sich hingebungsvoll den rosa gürtel des omnibus erarbeitet, indem sie seinen goldenen gürtel zu spiegelndem glanz poliert haben.

eine gelegenheit, das wesen des omnibus sinnlich zu begreifen und seine stimme im orkester zu finden. der omnibus genieߟt diese massagen ungemein und bedankt sich mit einem goldenen spiegel der wirklichkeit.

wer dann noch lokker bleibt, wenn heftige regenschauern prasseln, hat fast alles begriffen und ist voll bei der sache.

stripped

wir haben die herrin entkleidet. lisa, die seiltänzerin, konnte sich am besten hoch auf der leiter bewegen – sie hat anschlieߟend noch die fenster geputzt:

mit dem vollmond ist das wetter noch mal ganz warm geworden. ohne banner strahlt der omnibus zeitlos elegant – er hat optisch einen anderen rhythmus und in die obere etage fällt ein erfrischendes licht. es ist inspirierend, sich daran zu gewöhnen.

inwitten

schon besonders – ich freunde mich mit dem gedanken an, hier jeweils feierlich die tour zu beenden. obschon viele nicht erschienen sind und der quantitative erfolg zu wünschen übrig lieߟ.

der bluesige teil der tour beginnt, beschwingt melancholisch. der vollmond nähert sich und das wetter wird schöner. mit milena & lisa läuft die arbeit mühelos und ich bin voll bei sinnen. ich komme zum lesen & schreiben & bilden.

das wochenende habe ich mit lisa allein zuhaus in hattingen verbracht, bis samstag abend ulrike aus portugal zurückkam. michael war noch nicht aus taiwan zurück und es dürstet mich weiter nach berichten aus dem fernen osten, wohin enoch, mein jüngster bruder, bald für längere zeit entschwinden wird. ich brauche input.

ulrike hat dem omnibus einen schönen blumenstrauߟ aus ihrem garten geschenkt und uns mit kürbissen & apfelsaft versorgt.

milena ist wieder zu uns gestoߟen und paula, die jugendliche rebellin, die sich im sommer schon in brandenburg beim kampfsammeln bewährt hat, ist von ihren eltern für die mitfahrt bis zum ende der tour in hattingen vorbeigebracht worden. mit dieser girl group fühle ich mich für alles gewappnet.

zum beispiel riߟ sich auf dem weg nach soest aus heiterem himmel in einer dramatischen kettenreaktion das banner auf der fahrerseite los und flatterte wild neben uns her – bei voller fahrt auf der autobahn. sobald wir eine seitliche einbuchtung gefunden haben, haben wir es ganz abgerissen und zusammengefaltet. was will meine herrin mir damit sagen ? will sie sich etwa für die letzten wochen nackt den tatsachen stellen ?

seit dem talhof haben die banner beim kampfsammeln gute dienste geleistet und ich finde, dieses bild ist ein würdiger schluߟakkord. morgen werden wir auch das banner auf der schauseite herunterholen und die fenster & die goldene schiene putzen.

zuhause ?

hier in witten ist meine höhle & studierstube für den winter. vollkommen komplementär zu meiner zeit im omnibus. zeitreise & reisezeit. das verschränkt sich hier in eigenartiger weise. die perspektiven oszillieren und ich sehe ganz neue bilder.

im winter verlasse ich meine höhle so selten wie möglich und jetzt beschnuppere ich wunderfitzig das wesen der stadt auch im hinblick auf intelligente umnutzungen & anpassungen an die gegenwart.

hier sind alle architektonischen sünden der jahre seit dem zweiten weltkrieg zu besichtigen. die stadt ist so häߟlich, daߟ sie mir richtig leid tut und daߟ ich meine fantasie spielen lasse, um herauszufinden, wie ihr commonisch zu helfen wäre. fürs erste habe ich begonnen, zarte bande zu knüpfen: wenn die tour zu ende ist, bin ich mit einer redakteurin der tageszeitung verabredet, um über unsere tour zu berichten und auf die besondere verbindung zwischen witten & omnibus hinzuweisen. daraus könnte sich ein commonisches ritual mit gemeinsamem nutzen entwickeln.