nach der arbeit

   
 
wollten wir alle zum wasser und haben eine groߟe runde gedreht über zwei brücken – bis zum deich und in weitem bogen zurück.

   
 
übrigens fahren die züge nicht im keller durch die konsumhölle, sondern wir haben hier einen um eine konsumhölle verlängerten sackbahnhof – hier ein blick in sein arschloch:

   
 

wilhelmshaven

unter dem wasserspiegel dem meer und der marsch abgetrotzt in kriegerischem gröߟenwahn – so wie einen weltkrieg später die nazis wolfsburg aus dem sumpf gestampft haben. 

   
 

das wetter ist wieder schön geworden – und der platz erweist sich als tauglich. schon gestern in heide ist anna aus witten zu uns gestoߟen, 17 jahre alt, waldorfschülerin & cellistin. sie macht ein betriebspraktikum und war schon ein paar tage bei brigitte im büro. so konnte sie gestern schon einmal eine längere fahrt erleben und uns „vor der arbeit“ kennenlernen. und erst einmal eine nacht im omnibus schlafen. sie ist ohne scheu in die arbeit hineingesprungen und hatte schon in den ersten stunden eine telefonnummer auf ihrer liste. ein volk-foto werde ich nachliefern …

   
 

enoch ist wieder erfolgreich auf medienhatz gegangen – er dreht den spieߟ einfach um und keiner kann ihm widerstehen. und ich habe einen mann kennengelernt, der mir ganz viel futter für meine demokratischen ausgrabungen gegeben hat, indem er mir von den „sieben friesischen seelanden“ erzählt hat, die sich ziemlich egalitär & gleichberechtigt organisiert haben und nach langen vergeblichen eroberungs- und missionierungsversuchen durch die franken von karl dem groߟen weitgehende autonomie erhalten haben, ihre angelegenheiten auf ihre weise zu regeln. diese sieben friesischen seelande erstreckten sich über den gesamten küstenstreifen bis zur insel texel in den niederlanden und reichten bis ins neunte jahrhundert zurück, lange vor der bauernrepublik dithmarschen.

und wieder gab es nur zwei dicke romanschwarten über diese zeit. einen roman muߟte ich einfach kaufen, denn er hieߟ „freyas land – historischer roman aus friesland“. und wenn ich ihn nur als  dekoration in meiner umgebung halte und oft genug an freya denke. wenn sie den roman haben will, werde ich ihn ihr natürlich schenken. 

  

und der andere, der noch voluminöser ist, liefert mir noch einmal eine andere perspektive – ich muߟ versuchen, die wie märchen zu lesen und sex, drugs & rock’n roll zu subtrahieren. ich habe jetzt schon einige hinweise darauf bekommen, wie fein ausgetüftelt das rechtssystem in den sieben seelanden gewesen sein muߟ, und das schönste wort, das mir dazu einfällt ist: palaver.

  

das schönste ist, das ich auf meinen weiteren stationen im gebiet der sieben seelande in den nächsten zwei wochen noch viele weitere informationen über diese zeit einholen kann – in aurich soll es sogar ein institut geben, das sich vorwiegend mit dieser zeit auseinandersetzt. und ich, der ich geschriebener geschichte zutiefst miߟtraue, will gern versuchen, mich näher an die historische wahrheit heranzutasten. ohne vorstellungen.

der mann,

den sie pferd nannten, ist heute nach der arbeit so ungefähr zweihunderfünfzig kilometer nach wilhelmshaven gefahren.

  

inmitten von atomkraftwerken in glückstadt mit der fähre über die kilometerbreite elbe – bis mitternacht fahren da zwei fähren emsig hin & her – und dann um den jadebusen herum.

   
   
ziemlich genau zu der zeit, die ich geschätzt hatte (um elf herum) sind wir dann nach anderthalb stunden in der dunkelheit auf unserem seltsamen platz in wilhelmshaven angekommen, parallel zu einer konsumhölle, in deren keller der hauptbahnhof ist. ich erinnere mich an meinen letzten aufenthalt und will morgen versuchen, ob wir nicht an die stirnseite dieses platanenbaldachins dürfen …

   
 

heide ausgelöffelt

jetzt hat es alle drei tage hier geregnet oder gesprüht. wir haben in unterhaltsamem einvernehmen alles ausgeschöpft, unsere durchschnittsquote lag über fünfzig prozent – gestern noch deutlich mehr.

  

und am ende bin ich auch noch zu sankt jürgen reingegangen. die lebensspanne der ersten kapelle entsprach genau der zeit der bauernrepublik dithmarschen, ihr war am rande des versammlungsplatzes ein proportional angemessener platz eingeräumt worden. 

nach der totalen militärischen zerstörung von heide und dem tod der republik wurde die jetzige kirche mit zum teil grobschlächtigen eingriffen in die spürbaren originalproportionen und schauderhaftem barockgeprotze, das schreiend der schönen schlichtheit des originals (der kirche der republik) widerspricht, stufenweise wieder aufgebaut. 

aber es sind auch teile der alten kirche erhalten, es gibt zwei „moderne“ farbige fenster und eine ziemlich gelungene „moderne“ orgel.

   
   

der grundriߟ ist asymmetrisch – es gibt einen wohl proportionierten seitenflügel:
   
    
 

mein gedankenspiel mit der bauernrepublik läuft jetzt parallel immer weiter. selbst ein hier ansässiger verlag hatte nur informationen über die zeit ab 1559 anzubieten. das einzige, was es gab, waren drei dicke, gebundene und entsprechend teure romane mit eingebauten liebesdramen gegnerischer protagonisten, so ß¡ la romeo & julia – das war mir zu teuer und zu unspezifisch … da träume ich lieber so noch weiter, bis sich ablagerungen bilden – dafür reichen meine informationen allemal.

rainy day

… dream away and let the sun take a holiday. so lautet ein song von jimi hendrix auf dem album „electric ladyland“. ich hab von der bauernrepublik dithmarschen geträumt und mich auf ein weit ausgedehntes gedankenspiel eingelassen und mich gefragt, wieso sich die digitalen medien regelrecht sträuben, mir wirklich inter-essiert suchendem informationen über die lebenswirklichkeit in diesem jahrhundert der bauernrepublik zu liefern und wieso die geschichtswissenschaft (da lachen ja die hühner) diese zeit nicht als spannende forschungsfrage sieht, die inter-essante antworten zutage fördern könnte auf fragen, an deren lösung wir immer wieder so erbärmlich scheitern …

   

 

jedesmal, wenn ich versuche, diese kirche von innen zu sehen, war bisher die tür verschlossen. vielleicht komme ich ja morgen noch dazu.

es hat den ganzen tag geregnet und dadurch auch nur spärlich tröpfelndes oder hektisch dem regen entfliehendes publikum an uns vorbeigetrieben, aber wir sind ein gut geöltes trio und haben uns nicht die laune verderben lassen. wir hatten eine hocheffiziente quote und waren offen für alle überraschungen:

zuerst hat uns renate, eine alte mitstreiterin aus meldorf (dem zweiten hauptort von dithmarschen) zwei heiߟersehnte pakete vorbeigebracht – wir haben uns vor vier jahren das letzte mal gesehen und schon das wiedersehen allein war prima. es stellte sich heraus, daߟ es für sie ganz schön kompliziert & kurzfristig gewesen war, das zu organisieren – sie muߟte sich am ende auto & fahrerin leihen. umso dankbarer bin ich ihr, denn in einem der pakete war die familiengeschichte meines jüngsten weiblichen vorbilds, aufgeschrieben von ihrer tochter, die als ganz junges mädchen die zeit ihres aktiven widerstands gegen die nazis  hautnah miterlebt hat: ruth andreas-friedrich, deren tagebücher (1938 bis 1948) mich vor zwei wochen so sehr beeindruckt haben. ich konnte es kaum erwarten, mehr über diese frau zu erfahren.

  
ein sehnlicher wunsch ging in erfüllung.

und dann habe ich noch gunnar kennengelernt, mit dem es sofort voll gefunkt hat. er ist heiler und kanubetreuer auf der eider. wir brauchten wenig worte machen und er ist im klaren bewuߟtsein seiner prekären existenz direkt ein groߟzügiger omnibus-förderer geworden. er war nur zum omnibus gekommen, um uns anzubieten, unsere unterschriftenlisten und materialien in seiner „gemeinde“ auszulegen und anzubieten. mit dieser praktischen herangehensweise hat er mein herz im sturm erobert.

im eifer unserer lebhaften unterhaltung habe ich mal wieder vergessen, ein volk-foto von ihm zu machen, aber dann sah ich ihn noch einmal an der peripherie und hab ihn herbeigeholt:

  
er ist ein outdoor-mensch und kerngesund. auch maike & enoch haben sich prächtig mit ihm verstanden. 

wie gesagt: rainy day – dream away – and let the sun – take a holiday. das ist auch ein trio: e-gitarre, e-baߟ, schlagzeug, 

unser trio hat einen wunderbaren groove – wie cool jazz. und jede stimme ist unverwechselbar & hellwach. maike ist erst siebzehn und schon eine kleine wissenschaftlerin, wobei klein als kompliment gemeint ist, denn sie hat die unbestechliche wahrnehmung eines kindes und sie läߟt sich durch nichts von ihrer spur ablenken. weil sie auch körperlich klein ist, wird sie von fast allen menschen unterschätzt, aber das ficht sie nicht an. und enoch ist so eloquent, der könnte gleich zum professor leapfroggen. es geht ziemlich kurzweilig bei uns zu und wir tauschen uns intensiv über unsere wahrnehmungen aus – wie in einer fahrenden intellektuellen-wg (zerstreute professorinnen).

   
 

enoch’s ausbeute

  
mir wurden noch zehn jahre angedichtet
und eine karikatur aus der heutigen ausgabe der dithmarscher landeszeitung:

  
das wetter ist scheuߟlich …

bauernrepublik

mir hat mal ein schweizer selbstironisch erklärt, daߟ die direkte demokratie im deutschsprachigen raum genauso gut in dithmarschen entstanden sein könnte. aber das ist flachland und die bauern waren militärischer gewalt hilflos ausgeliefert. 

wir stehen genau im zentrum der bauernrepublik dithmarschen, auf dem marktplatz von heide, von den bauern im frühen fünfzehnten jahrhundert zu ihrem versammlungsort erkoren. dieser marktplatz rühmt sich, neben freudenstadt im schwarzwald der gröߟte unbebaute marktplatz deutschlands zu sein. ich sehe sofort eine gesunde dreigliederung des sozialen organismus am werk und geb mich träumereien hin über den lebendig verwobenen betrieb auf diesem platz. diese bauernrepublik dithmarschen hat hier über hundert jahre gedeihlich prosperiert und endete erst mit der völligen zerstörung der stadt durch militärische gewalt von auߟen. da geht mir das herz auf – ich bin auf geweihtem boden.

irgendwie verloren am rand dieses riesigen platzes, auf dem jetzt nur noch autos parken, steht eine kleine wohlproportionierte kirche, die simultan mit der republik & dem platz entstanden ist. vor dieser kirche stehen wir. und: typisch für diese eigensinnigen friesinnen haben sie sie „st. jürgen-kapelle“ getauft, obwohl sie dem heiligen georg (dem drachentöter) gewidmet ist – inter-essante symbolik.

soweit für heute – es ist schon spät