durchlaucht

eines der lieblingswörter von yunus ist „durchaus“ – und er spricht das mit sonorer stimme aus wie ein wahrer sprachgestalter. er ist zwischen welten & sprachen aufgewachsen und hat eine kindliche freude am reimen & fabulieren. herr duden wäre nicht begeistert, aber der ist eh schon lange tot.

manchmal sitzt er nachts fast so lange wie ich im omnibus und arbeitet: der digitale anteil ist mir ein rätsel und der analoge besteht aus kalligrafischen meditationen mit lateinischen buchstaben auf dinavier – ein anspruchsvolles unterfangen, das einen bätscheler verdient hätte.

die menschen reden gern mit ihm. auf mich wirkt er wie ein märchenprinz – deshalb habe ich ihm den kosenamen „durchlaucht“ geschenkt und wir lachen unisono, wenn ich ihn so anspreche.




hier im ballett mit zwei asiatinnen – eine hatte ihren hauptwohnsitz in brandenburg.

umstülpung

die welt des kampfsammelns ist – besonders im menschenleeren brandenburg – eine inter-essante herausforderung. es geht plötzlich gnadenlos um quantität. es kostet viel aufmerksamkeit, die intrinsische motivation nicht zu verlieren. das wörtchen „jede“ oder „jeder“ bekommt eine neue bedeutung. 

es gilt, friedfertig & freundlich unterschiedslos alle anzusprechen und nie zu dis-ku-tieren und zu ver-ur-teilen, obwohl viele äuߟerungen  feindselig & stumpfsinnig sind. liebe & offenheit sind angesagt. über mich ergehen lassen und geduldig auf das auftauchen des wirklichen menschen warten.

heute hat mich ein rentner aus sicherer entfernung miߟtrauisch beäugt und gespannt meinen ausführungen in einigen gesprächen gelauscht – ich konnte seine anwesenheit die ganze zeit spüren, obwohl ich meinen gesprächspartnerinnen voll zugewandt war. irgendwann – als es keine zeugen gab – hat er sich herangetraut und unwirsch gefragt: „was soll das ganze?“

am anfang unseres gesprächs sagte er sachen wie: „die flüchtlinge sind doch alle schmarotzer.“ er untermauerte das mit lauter objektiven und insofern richtigen beobachtungen. und erzählte, daߟ er auch busfahrer war und ziemlich weit herumgekommen. wir haben über die gastfreundschaft von armen menschen geredet. ich habe mich bemüht, ihm den mechanismus der objektivierungsfalle metaforisch vor augen zu führen und die subjektivität zu beschwören, wir haben uns darauf geeinigt, daߟ wir auge in auge eigentlich alle ziemlich vernünftig sind, jedenfalls wesentlich vernünftiger & sachlicher als unsere „vertreter“.

am ende hat er mir noch seine frau vorgestellt und zum abschied mit festem händedruck zu mir gesagt: „danke für das schöne gespräch. sie sind ein netter kerl.“

solche perlen halten mich bei laune und ich kann der stillen & weiten atmosfäre hier etwas abgewinnen und dem fehlen des konsumlärms. insoweit liebe ich die arbeit in brandenburg und kann mein bestes geben.



volle ladung

wir haben das wochenende auf einem wohnmobilplatz am see verbracht. milena & yunus sind schwimmen gewesen. wir haben geputzt & aufgeräumt und die ruhe vor dem sturm genossen.




um vier uhr sind wir auf den marktplatz von senftenberg aufgefahren. dahin kam der freundliche herr gulba mit einer ganzen wagenladung von paketen & papier und eine helena von mehr demokratie aus berlin, um uns zu instruieren & auszurüsten für die volksinitiative „wir entscheiden mit“ in brandenburg.

dann kamen kurz hintereinander pauline & cornelius als neue frischlinge. wir haben bei einem griechen zusammen gegessen und angefangen, uns kennenzulernen & auszutauschen. wie das leben so spielt: pauline & milena kennen sich von einem effessjott in vietnam und sind „zufällig“ jetzt beide gleichzeitig zum ersten mal im omnibus.

und meine letzte brandenburg tour endete in senftenberg.

jetzt schlafen alle schon und im omnibus sieht es schon wieder richtig nach kampfsammeln aus:



ostalgische gefühle

haben mich in dieser thüringen woche ergriffen & allmählich besonnen. ich lebe mich ein in ein anderes genre.

zum beispiel zeulenroda: das klingt geheimnisvoll & verführerisch. wir standen vor der commerzbank am rosa luxemburg platz, einer trostlosen mischung aus kriegerdenkmal & parkplatz. das straߟenschild war abmontiert (während der goethe von der querstraߟe natürlich noch hing). und gleich um die ecke lag schon wieder ein kahlgefegter marktplatz, auf dem wir nicht stehen dürfen.




eine freundlich resolute 81-jährige dame hat mir im rahmen eines anregenden gesprächs ihre lebensumstände geschildert und mir zu verstehen gegeben, daߟ sie keine förderin des omnibus werden könne.

später, während ich im gespräch mit einer zeitungsreporterin im omnibus saߟ, kam sie noch einmal zu yunus und hat sich in die telefonliste eingetragen. als die reporterin gegangen war, hat sie mir ihre hand gegeben und sich bedankt mit den worten: „daߟ es menschen wie sie gibt, hat mir neuen mut gegeben.“

besser gehts nicht!



das thüringen trio

voll in der sonne. in dieser besetzung haben wir eine thüringen woche hinter uns, die mir für immer in guter erinnerung bleiben wird.




milena ist am sonntag abend mit dem zug nach saalfeld gekommen. sie hat in einem zweiten anlauf in witten einen sehr analogen menschenbetonten medizinstudiengang gefunden, nachdem ihr ein erstes semester in düsseldorf überhaupt nicht gefallen hat.

ihren vater habe ich auf dem kongreߟ in bochum kennengelernt – er ist kinderarzt und ihre mutter ist kinder & jugend psychiatrin. was für eine konstellation! 

sie spielt geige und würde am liebsten immerzu frei improvisieren.

bei mir glühten sofort alle drähte.




yunus würzt dieses trio mit exotischen rhythmen. ich bin froh über diese woche des einstimmens mit den beiden, bevor wir uns nächste woche als quintett ins getümmel des kampfsammelns stürzen.

es ist halb drei und wir stehen auf einem gebührenpflichtigen autohof in dresden – nacht zusammen.


zeulenroda

das ist die tür zum ziemlich pompösen klassizistischen rathaus, das von einem reichen fabrikanten gestiftet wurde. die linke klinke ist oxidiert. 




und wenn er könnte, wäre auch dieser trabbi oxidiert. wir sind hier in der tiefsten ostprovinz und stehen ziemlich abseits. vor allem: weit & breit keine konsumhölle. hier hat erstmals die presse nicht mitgespielt und es wird wohl morgen keinen artikel geben. aber wir waren angekündigt.




und mitten in diesem ausgestorbenen realismus sind wir deutlich erfolgreicher als im ländle – ich muߟ mir das nur noch in vollem umfang vergegenwärtigen.




als ich den omnibus plaziert hatte, fühlte ich mich wie ein akteur des absurden theaters – wie im bühnenbild von „warten auf godot“. den ganzen tag kamen autos um die ecke und fuhren uns über die füߟe auf der suche nach einem parkplatz. der altersdurchschnitt liegt jenseits von 50 jahren.

der platz ist nach einer meiner superheldinnen benannt:



auch neu: yunus

seit anderthalb wochen ist yunus dabei: er hat gerade sein abitur gemacht und ist der längste & exotischste junggeselle, den ich je hatte – er kann im omnibus nirgendwo aufrecht stehen, er ist lang & schmal wie eine giacometti plastik. den groߟteil seiner kindheit hat er in pakistan verbracht – wenn ich das richtig verstanden habe, ist er im alter von acht/neun jahren im ruhrgebiet auf der waldorfschule gelandet – was für eine mischung !!!

jedenfalls hat er schon in dem wilden trio mit patrick eine schöne eigene stimme gefunden – verspielt & traumwandlerisch. wenn ich ihn aufwecke und auf etwas aufmerksam mache, ist er gleich voll da & niemals zickig. bevor er zum omnibus gekommen ist, hat er seine langen haare abgeschnitten – das war auch neu.

und er hat schöne kleider: knielange elegante hemden mit kleinen stehkragen. luftig leichte hosen, die unten bauschig herausschauen. er läuft auch viel barfuߟ. auf dem bild trägt er einen bademantel seiner mutter, den er auch auf der straߟe trägt, wenn er auf reisen ist: da hüpft mein herz vor freude.

er ist für vier wochen am omnibus und ich weiߟ jetzt schon, daߟ ich mich voll auf ihn verlassen und ihn in aller ruhe studieren kann. 





neues wetter



in saalfeld ist das wetter wunderbar warm und ab mittag stehen wir im schatten – ich habe meinen afrikanischen strampelanzug mit freude wieder angezogen – in kombination mit dem dünnen schwarzen lederjackett, das ich voriges jahr in landau im second hand laden gekauft habe, ist das meine lieblingstracht geworden. die ärmel sind bis über die ellenbogen hochgekrempelt und ich fühle mich lachend zu hause.

ein freundlicher türkischer pizzabäcker, dessen pide wir am ersten abend ausprobiert haben, hat uns gleich über nacht den schlüssel zu seinem laden gegeben, damit wir seine toilette benutzen können. und heute morgen hat er mir angeboten, daߟ wir alle bei ihm duschen können … 

tagsüber können wir unsere bestellungen aufgeben und im omnibus oder neben dem omnibus an einem seiner tische drauߟen verspeisen.




am nachmittag hat sich ein gewitter zusammengebraut und wir sind nach der arbeit mit aufgespannten regenschirmen zur saale gelaufen – bei donnern & blitzen.




ich liebe wild bewegtes wasser und schwimme gleich weg in kindliches staunen:




und es hagelt fliegende teppiche.



alles neu

für mich: neu im osten, neu auf diesem groߟen leeren platz, an dessen längsrändern halbwüchsige, krank aussehende baumschulenbäumchen stehen – ich erkenne den platz nicht wieder, obwohl ich schon zweimal hier war – einmal bei der jungfernfahrt im herbst 2000 und einmal beim zweiten volksbegehren in thüringen 2008. jetzt ist er kahl & leer wie überall im westen, nirgendwo schatten oder irgendwas weiches, kein freies wasser, kein lebendiges klima – als stadtplanerische leistung wird verkauft, daߟ die autos vom platz verbannt sind und daߟ alle schön abkassiert werden können, die an den beiden längsrändern halten & parken 

die leergefegten plätze eignen sich hervorragend für massenkommerz wie weihnachtsmärkte, wo die höchsten quadratmeterumsätze erzielt werden,

jetzt bin ich abgeschweift und habe noch nicht erzählt, was sonst noch alles neu ist – vielleicht beim nächsten mal.




das ist auch neu: daߟ ich mittendrin aufhören kann.