Monat: Mai 2019
scheußlich kaltes wetter
im wunderschönen utting – christopher hat einen abstecher nach münchen zu seinem 12 jahre älteren bruder und dessen familie gemacht. wir haben unseren wecker eine halbe stunde früher gestellt, weil samstag morgen ein kleiner & feiner biomarkt in sichtweite neben dem sportplatz stattfindet, der trotz schlechtem wetter ein lebhaftes kommunales ereignis (libertarian municipalism) war, das alle meine schleusen geöffnet und mir ein fänomenales ergebnis beschert hat: nach dem markt standen 8 menschen auf meiner liste, die ernsthaft erwägen, den omnibus zu unterstützen.
das schlechte wetter hat mir geholfen: im schützenden omnibus bildete sich jedesmal eine art intimsfäre, in der alle beteiligten sich gut konzentrieren konnten, wenn auch fröstelnd & bibbernd.
danach haben wir die heizung aufgedreht & die seele baumeln lassen. beim frieren ist mir aufgefallen, daß ich mit meiner arbeit schon eifrig für das postfossile zeitalter trainiere, obwohl der omnibus mit diesel betrieben wird.
gerda hat erfahren, daß sie oma wird und mich vor freude in das edelste restaurant ausgeführt – direkt am ammersee.
???
das hat schon beim ersten mal vor 10 jahren höchste aufmerksamkeit bei mir erregt: gleich um die ecke ein bert-brecht-weg – in dieser fast kitschigen idylle. ich habe dann herausgefunden, daß bertold brecht nach dem kommerziellen erfolg der dreigroschenoper ganz kurz mal reich war und sich ein schönes auto und eben dieses haus in utting gekauft hat – auf den bildern aus dieser zeit sieht er ganz verwegen aus – wie eine zwanziger-jahre-variante von david bowie, in leder und mit schiebermütze & zigarre. ein prähistorischer pop star. daß ich früh fast alles gelesen habe, was er geschrieben hat, hat sehr zur entfaltung meiner persönlichkeit beigetragen. ich bin ihm grundsätzlich dankbar dafür.
hinter meinem fahrersitz liegt schon immer ein kleines rotes, brikettförmiges buch (1.400 gebetbuchseiten) mit allen seinen gedichten – da habe ich zwei gedichte gefunden, die er diesem haus gewidmet hat: das erste, lange heißt „zeit meines reichtums“ – und das zweite hat er nach der lektüre viele jahre später in los angeles im exil geschrieben:
ich zitiere:
beim lesen von „zeit meines reichtums“
die lust des besitzes fühlte ich tief, und ich bin froh sie gefühlt zu haben. durch meinen park zu gehen, gäste zu haben
baupläne zu erörtern, wie andere meines berufs vor mir
gefiel mir, ich gestehe es. doch scheinen mir sieben wochen genug.
ich ging ohne bedauern, oder mit geringem bedauern. dies schreibend
hatte ich schon mühe, mich zu erinnern. wenn ich mich frage
wie viele lügen zu sagen ich bereit wäre, diesen besitz zu halten
weiß ich, es sind nicht viele. Also, hoffe ich
war es nicht schlecht, dieses besitztum zu haben. es war
nicht wenig, aber
es gibt mehr.
zitat ende
natürlich habe ich gleich nach diesem haus gesucht und menschen in der nachbarschaft gefragt, wo denn das haus sei, in dem bertold brecht gelebt hat. selbst die engsten nachbarn wußten das nicht zu sagen. auch dieses mal war das wieder so – es ergaben sich aber freundliche gespräche daraus – als feldforscher konnte ich aus dem echten leben schöpfen. inzwischen weiß ich genau, welches haus das ist und habe sogar mit einer frau gesprochen, die die menschen kennt, die darin leben.
utting am ammersee
gestern nachmittag haben wir uns in utting eingerichtet, dem perfekten kurort nach den übervollen letzten tagen. gerda hat uns in ihrem schön gelegenen & eingerichteten haus üppig mit einer wilden krautsuppe & salat bewirtet. anschließend haben wir in der „jolle“ unseren rom-film mit etwa 15 menschen angeschaut und ich habe mir mühe gegeben, nachher noch in ein gespräch über unsere arbeit zu kommen. in der kneipe liefen drei veranstaltungen gleichzeitig (gemeinwohl-ökonomie & fußball) und es ging drunter & drüber. um neun uhr fing das fußballspiel an und wir mußten unseren raum verlassen. für uns war das der beginn unseres kuraufenthalts und ich habe den beitrag „feierabend“ geschrieben und an meinen bildern gearbeitet.
heute habe ich mich ausgiebig herumgetrieben in dieser idylle und ein sinnliches bad genommen …
unter den wolken sind die alpen zu sehen. es ist unglaublich schön hier.
landsberg am lech
nach der arbeit hatten wir noch die gelegenheit, durch die schöne altstadt zum lech herunter zu laufen – mit gerda, die sich gut auskennt.
leider, leider können wir mit dem omnibus nicht auf den marktplatz fahren, die perfekte kulisse für einen auftritt. wir passen nicht durch die stadttore.
auch hier habe ich einige beispiele von zeitgenössischer architektur im zusammenspiel mit einem organisch gewachsenen ensemble gesehen, die mir auf anhieb sympathisch waren, weil sie zusammen einen superorganismus gebildet haben – eine ökologische metaebene.
an der ufermauer des lech haben wir heiße schokolade mit sahne getrunken und uns von dem türkisen gletscherwasser verführen lassen.
feierabend
endlich können wir loslassen – nach einem strammen unterrichtstag an der berufsschule in landsberg. drei doppelstunden mit ziemlich großen klassen und spontanen anfragen & besuchen – der stellvertretende schulleiter hat uns besucht und freundlich willkommen geheißen. gerda & wolfgang haben uns liebevoll betreut.
die schule ist riesig: es gibt 2.400 schülerinnen und zum beispiel auch nutzfahrzeugmechaniker mit einem rolltor, durch das auch der omnibus passen würde. die architektur ist in zwei baustufen entstanden mit schätzungsweise 20 jahren abstand. diese erweiterung ist sehr gelungen, jeweils das beste aus beiden epochen gleichberechtigt zu etwas größerem verbunden. diese schule wirkt – obwohl sie so groß ist – überhaupt nicht massiv.
die gebäuderiegel sind lebendig verzweigt und hinter dem haupteingang öffnet sich der raum zu einer lichten, vielschichtigen aula, die sich für die unterschiedlichsten zwecke eignet.
heute habe ich mir die beste mühe gegeben, die jeweiligen klassen vor dem omnibus mit einem möglichst kurzen solo anzuwärmen – und yunus & christopher in vollem vertrauen für den hauptteil des unterrichts in die klassenräume gehen lassen – meist in begleitung von gerda oder wolfgang. ich glaube, beide haben viel gelernt und es freut mich besonders, wie intrinsisch sich christopher für diesen aspekt unserer arbeit interessiert. wir sind ja schon lange ein trio – jetzt wohnt er auch noch in meinem zimmer, wenn er nicht am omnibus ist. zeit & raum übergreifend entdecken wir viele gemeinsame interessen und können völlig mühelos zusammen arbeiten. besser gehts nicht!
das gilt auch für chiara & yunus. ich bin ja ganz bewußt nicht mit in die klassen gegangen, aber ich muß zugeben, daß ich zu gern die morgenländische variante von yunus miterlebt hätte. also: großes kompliment an die band – ich weiß am besten, wie anstrengend diese letzten tage für alle ohne meine erfahrungen waren.
der wecker klingelte heute morgen um sechs uhr – deshalb sage ich ungeachtet aller lükken: nacht zusammen.
mamma bavaria
diesen kosenamen habe ich gerda geschenkt, einer ganz alten freundin aus meinen anfangszeiten: psychologin, gestalt therapeutin, matriarchatsforscherin, religionslehrerin an zwei berufsschulen, ein warmherziges prachtweib – balsam für meine gesundheit. wenn ich johannes heimrath meinen getrennt aufgewachsenen bruder nenne, dann ist sie meine getrennt aufgewachsene schwester.
und mit thomas, ihrem kollegen, der uns am abend liebevoll in empfang genommen hat, habe ich gleich einen weiteren bruder gefunden. beide sind religionslehrerinnen – deshalb will ich unser zusammensein gerne eine kommunion nennen – volle sinnliche bandbreite, die ich durchaus als heilig empfunden habe.
gerda & thomas hatten für uns zwei tage unterricht in der berufsschule in ingolstadt organisiert, in der ich vor über 15 jahren schon einmal mit dem omnibus war. eine berufsschule ist ein völlig ungewöhnliches szenario: die schülerinnen sind nach berufen sortiert und arbeiten schon in der wirklichkeit. das fasziniert mich und ich gehe voll auf sendung, mit weit aufgespannter aufmerksamkeit. ich neige zu temperamentvollen improvisationen und habe inzwischen viel vertrauen in die sich individuell in der zukunft entfaltenden wirkungen. wenn ich keine erwartungen habe und mein bestes gebe, bin ich am ende zufrieden mit dieser arbeit – die schülerinnen sind in diesem spiel meine engel, die opi da lang in seiner ganzen schrulligkeit so gut wie möglich kennenlernen sollen, damit sie wissen, daß ich ihnen mit meiner arbeit voll & ganz zu diensten stehe.
uns gegenüber standen alte, vor vitalität strotzende kastanien, in frischem grün, an denen keinerlei spuren der berüchtigten moniermotte zu sehen waren, die fast alle kastanien befallen hat und mir im spätsommer mitleidend das herz bricht. sogar die äste waren direkt aus der rinde heraus belaubt. streifenhörnchen flitzten herum.
diese rhabarberblüte habe ich in thomas‘ garten entdeckt, der uns sehr freundlich & aufmerksam durch den ersten unterrichtstag begleitet hat. nach einem dicht gefüllten tag sind wir an der donau entlang in lebhaftem austausch mit ihm nach hause gegangen und haben lekker getafelt. er lebt in einem schön proportionierten haus mit einem zum nachbarhaus offenen garten, ich sehe viele permakulturelle ansätze und gemeinsamkeiten. mit vergnügen habe ich ihm die schöne ausgabe von bolo bolo geschenkt.
break dance: zwei pikkepakka volle tage liegen hinter mir – und ich bin von ingolstadt nach landsberg am lech gefahren (mit vielen staus auf dem münchener ring). gerda hat während der fahrt über mir in unserer vip-lounge gesessen und chiara & yunus wesen & geschichte der gestalt therapie erklärt.
wolfgang, ein liebenswürdiger kollege von gerda, hat uns empfangen und mit allem nötigen versorgt und uns zum essen bei einem geschäftigen italiener ausgeführt. anschließend ist der rest meiner band (brigitte ist am nachmittag von ingolstadt aus nach hause gefahren) ziemlich geschlaucht ins bett gefallen. der wecker klingelt morgen um sechs uhr zu einem strammen tag mit einer abendveranstaltung in utting am ammersee. der akku von meinem eifohn steht auf rot – also: ab ins bett.
der richthof
wo wir im schnee erwachten, war das „frühlingsfest“ des richthof. eine meiner lieblingshaltestellen, die mir zuverlässig & grundlegend das herz erwärmt. die dörflerinnen begrüßen mich freudestrahlend und können sich auch nach jahren an meinen namen erinnern. sie erkundigen sich nach meinem befinden und wünschen mir alles glück der welt. für mich ist das immer rekreation im besten sinn. ein ruhig pulsierendes dorf im wald – an der jungen fulda. in einem warmen sommer vor über fünfzehn jahren haben wir uns mal hineingelegt und umsprudeln lassen – überaus erfrischend.
wir sind jetzt zu fünft: yunus & chiara, christopher … und samstag abend ist brigitte zu uns gestoßen. wir sind mit allem bestens versorgt und haben viele besucherinnen und gleichzeitig gelegenheit, zu stöbern & zu wuseln. am zweiten tag war das wetter besser, aber immer noch ziemlich kalt. es gab einige wiedersehen aus alten zeiten und jede menge anknüpfungspunkte.
morgen fahren wir nach bayern, ins land unseres fänomenalen erfolgs …
also hier
wie versprochen: das andere ufer. ganz winzig ist der omnibus zu erkennen.
so sah es von der terrasse des „dschingis khan“ aus:
auf diesen platz können wir gern immer wieder fahren. er bietet uns eine gute bühne. markus hohenstein hat mich besucht – der mann, der durch ein bürgerbegehren verhindert hat, daß die nette kleine straßenbahn in witten stillgelegt wird. außerdem hat er ganz allein eine volksinitiative in nordrhein-westfalen gestartet für g9 (13 schuljahre bis zum abitur) und damit meine uneingeschränkte bewunderung gewonnen. brigitte hat mir später am telefon erzählt, daß er nach unserem gespräch omnibus-förderer geworden ist . ein anderer mann, der den omnibus am ersten tag entdeckt hat, bevor wir gefrühstückt hatten, ist am abend in düsseldorf beim ringgespräch aufgetaucht. besser gehts nicht.
aus dem takt
weil ich mich hemmungslos in die gegenwart fallen lasse, gerate ich hier völlig aus dem takt. an eine „ordentliche“ kronologie ist nicht zu denken – schon garnicht sprachlich.
der puls des lebens ist unberechenbar – ich versuche, mich friedfertig improvisierend da einzuklinken und habe dann keine zeit, darüber zu schreiben, wenn ich vor zwei uhr ins bett gehen will (und dafür gab es gute gründe).
das wetter oszilliert heftig – 20 grad unterschied in schnellem wexel. heute morgen sind wir im schnee aufgewacht, nachdem es die letzten tage immer ungemütlicher wurde und wir vorher schon hochsommerliche temperaturen hatten.
jetzt sitz ich mit doppelkaschmir am leib und dem riesigen kaschmirschal um den hals geschlungen hier und denke über die „musikalische form“ von „er-fahrungen.org“ nach. ich liebe synkopische, unregelmäßige rhythmen, wie sie die menschen in afrika zelebrieren und höre im moment viel musik von soba jobarteh aus westafrika, von wo meine afrikanischen strampelanzüge stammen. wenn es mir gelänge, dem blog einen solchen lokkeren groove zu geben, wäre ich sehr zufrieden.