10.10.1972

dieses kalenderblatt hat mir ein mann während der LOGOS tagung geschenkt – einfach so!

ich hab tatsächlich schon die erste nacht im heimathafen verbracht und noch viel zu verdauen – und gleichzeitig meinen umzug vor der nase.

obwohl ich kein christ bin und mit religionen nicht viel anfangen kann, war das finale in vieler hinsicht grandios: fast 2.500 friedfertige menschen aller alterstufen & aus aller welt sind zusammengekommen, um für vier volle tage das hundertjährige bestehen der christengemeinschaft zu resümieren und in die zukunft zu blicken – unter dem motto „consecrating humanity“, was ich mit „heilen der menschheit“ übersetzen möchte – immerhin!

es waren fast gleich viele menschen aus rußland & der ukraine da – und sie haben gemeinsame sachen gemacht!

eine ukrainische künstlerin, die mich wohl eine weile bei der arbeit beobachtet hatte, hat mir ohne worte dieses bild geschenkt:

der spinnende flamingo im siebten himmel – an die reizende junge frau mit blau gepunkteter hose kann ich mich allerdings nicht entsinnen.

übrigens

nachdem rob sich am ersten abend verabschiedet und auf die suche begeben hat, hat sich herausgestellt, daß wir alle den impuls gespürt hatten, ihm im omnibus unterschlupf zu gewähren, das mit rücksicht auf die anderen aber nicht ausgesprochen hatten.

er ist von einem „anarchistischen zentrum“ gastlich aufgenommen worden und hat sich sehr gefreut, daß die jugendlichen seine banner bei einer klimademo vor sich her getragen haben.

unser amerikanischer bruder

ich will unbedingt noch von rob erzählen, einem amerikaner, der sich gleich am ersten abend in luzern magisch vom omnibus angezogen fühlte, obwohl er kein wort deutsch sprach. wir haben ihn gleich eingeladen. meine muttersprache ist mein künstlerisches werkzeug. deshalb habe ich eine scheu, zu radebrechen, obwohl ich seit jahrzehnten mit vorliebe amerikanische bücher aller art lese und in gesprächen alles verstehe. simone war zu einem schüleraustausch in amerika und pia hat besonnen & poetisch improvisiert. da konnte ich auch meine zunge lokkern und beitragen, was noch fehlte.

das ist mein remix eines bandfotos, das rob von uns aufgenommen hat. unisono haben wir rob herzlich in unsere band eingeladen. das kennenlernen war feinste kammermusik.

er hat in oregon, utah und kalifornien gelebt und eine erstaunliche verwandlung vom politikberater zum anarchistischen friedensapostel durchlaufen. er kam mit seinem letzten euro in luzern an – ohne eintrittskarte & unterkunft. vorher hatte er sich zwei jahre ohne geld & französisch in frankreich unter der gelbwesten-bewegung umgesehen und eine amerikanische sektion gebildet.

mit solchen bannern hat er los angeles & washington dc bespielt und hat sie auch während des global forum zwischen den bäumen vor dem „neubad“ aufgehängt, von dem ich ja schon so geschwärmt habe.

er war genauso entsetzt wie ich darüber, daß der kongreß ganz schamlos & selbstgerecht partei ergriff in einem krieg, der auf beiden seiten so falsch ist wie immer und rein garnix mit demokratie zu tun hat. darauf hat er beharrlich & in vollem selbstbewußtsein mit seiner gelben weste & selbst gebastelten pappschildern hingewiesen. wenn er es für notwendig hielt, hat er auch lauthals seine unverblümte meinung in den saal geworfen. in einzelgesprächen hat er freundlich klartext über das wesentliche & notwendige gesprochen.

wir waren spontan ein herz & eine seele – unisono.

er war jeden tag bei uns und sagte, die omnibus band sei das demokratischste, was er auf diesem kongreß finden würde.

den krönenden abschluß unserer kurzen gemeinschaft bildete dann ein videointerview mit uns allen, das ein weiterer friedensapostel, der auch immer wieder zum omnibus kam und mich mit ghandi verglichen hat, aufgenommen hat. er hieß ion und lebte auf einem segelboot vor der küste von vancouver. ursprünglich kam er aus ecuador und hieß pedro. er hat uns alle wunderfitzig insistierend ausgefragt unsere zungen wurden ganz lokker & frei für die schönsten formulierungen.

das saß mir jetzt seit wochen quer. ich habe mehrere anläufe genommen und hoffe, jetzt in der kronologie weiter hoppeln zu können.

calw

mit pia & simone bin ich das erste mal über serpentinen in das städtchen calw heruntergefahren, das im engen tal der nagold liegt und die geburtsstadt von hermann hesse ist.

der steht da auf einer brücke. ich habe interessante einzelheiten aus seinem leben erfahren und mir gleich zwei biografien auf mein kindle geladen, die ich im winter lesen werde.

das wetter war schauderhaft naßkalt und ich habe für die mädels lange unterhosen (wolle/seide) aus meiner klamottenkiste gekramt. abends sind wir essen gegangen, um wenigstens mal ein stündchen nicht zu zittern.

am zweiten tag ist simone abgeholt worden, um mit einem sprinter sachen nach barcelona zu transportieren.

mit pia bin ich die serpentinen wieder raufgefahren und sie hat mich gekonnt nach stuttgart-vaihingen gelotst …

unromantische nächte

in so einem ambiente haben wir häufig die nacht von freitag auf samstag verbracht: nach der arbeit sind wir so weit gefahren, wie es hell war und haben uns bemüht, das tanken, wasserlassen & wasser auffüllen damit zu kombinieren. überhaupt waren wir viel auf der autobahn unterwegs.

quadrate

mir schwirrt der kopf von bildern & heftig oszillierenden ereignissen – es gäbe so viel zu erzählen, daß ich nicht weiß, wo & wie ich anfangen soll …

also zur abwexlung mal zwei quadrate.

simone

offensichtlich ist simone eine bildhauerin in ihrer sturm & drang periode. sie hat mir schon zum zweiten mal ganz beiläufig eine riesenfreude bereitet:

seit zwei jahren ist mein geliebter magritte regenschirm mit dem weißblauen himmel kaputt. der griff ist gesprungen und nur noch lose mit dem schirm verbunden. ich muß also immer vorsichtig mit ihm umgehen und kann ihn nicht wie charlie chaplin herumwirbeln.

simone sieht das problem, kauft eine tube holzleim und verwendet eine schlauchschelle aus dem werkzeugkasten als zwinge, die auch ohne leim eine lösung wäre. zum schluß sagt sie: „die kannst du jetzt erstmal drauflassen.“

als sie schon weg war, habe ich die schelle vorsichtig & erwartungsvoll gelöst:

und der schirm war geheilt !!!

da konnten sich erst das innere freudenfest & die angemessene dankbarkeit entfalten. typisch simone – ich liebe ihr zupackendes wesen & ihre pragmatischen ideen.

auf seinem weg nach marseille hat uns unverhofft simone’s vater auf unserer raststätte besucht – und zum ersten mal den omnibus erlebt.

diese beiden bilder schenke ich ihr in dankbarer erinnerung.

flamingo

nach sorgfältiger selbstbespiegelung kann ich mich immer besser mit diesem kosenamen anfreunden. so fühle ich mich immer mehr – ich erzeuge wunderfitziges interesse bei allen möglichen menschen und habe entsprechend viele intensive & herzliche kontakte „für alle, mit allen, durch alle“, wie unser name schon sagt.

da schließt sich für mich zweifelsohne im strom des lebens ein energiekreislauf, der mich am laufen hält wie ein perpetuum mobile.

ausgeflogen

heute habe ich pia in pforzheim zum bahnhof begleitet – damit sind jetzt beide engel in ihre jeweiligen welten ausgeflogen.

dieses bild habe ich zum abschied von simone in calw aufgenommen – als ich die beiden aufgefordert habe, mal ernst zu schauen, sah das so aus:

wir waren ein herz & eine seele – unisono – besser gehts nicht!

mir wird immer deutlicher, daß unser unternehmen für alle beteiligten am besten gelingt, wenn meine mitspielerinnen – unabhängig von alter & geschlecht – meine überhaupt nicht altersgemäße sehnsucht nach mütterlicher fürsorge erfüllen. dann läuft der laden unerschütterlich.

jetzt bin ich schon wieder ganz woanders – und riesige lükken klaffen in der kronologie.

global forum

wir standen zusammen mit der „european public sphere“ in eisigem schatten weitab vom geschehen. am anderen ufer war wohlig warmer spätsommer.

andererseits ziemlich zentral: gleich neben dem beliebtesten postkartenmotiv und dem gigantischen hyperbahnhof in der anderen richtung.

dadurch im gesamtgeschehen auch wieder klitzeklein & unbedeutend. das lebendigste, was da entstehen konnte, sah etwa so aus:

wir alle – der omnibus & meine engel & ich – fühlten uns wie besucher aus einer parallelwelt, auch & besonders weil unsere unschuldige einreise in die schweiz zu einem kafkaesken alptraum eskalierte: ein paar kilometer nach der grenze forderte uns ein polizeiwagen auf, ihm zu folgen – und lotste uns auf komplizierten wegen zu einem technischen untersuchungsamt der polizei. wir wurden gewogen & vermessen. ich wurde in die grube zitiert und auf verschiedene technische mängel hingewiesen. alle papiere (auch die ausweise der engel) wurden geprüft und es stellte sich heraus, daß die vignette, die mir freunde am goetheanum mit der versicherung geschenkt hatten, damit könne ich das ganze jahr über in die schweiz einreisen, lächerlich unzureichend sei. ich müsse eine tageweise schwerlastabgabe zahlen, die etwa 150 euro betrage. ich könne mir eine äpp runterladen und mit meiner mastercard digital bezahlen. meine mastercard funktionierte nicht. pia hat versucht, mit der kreditkarte ihres vaters zu bezahlen, aber der war gerade wandern. am ende hat simone’s mutter bezahlt … und wir dachten, jetzt sei alles erduldet … ich wollte nur noch unsere papiere & die quittung abholen … da erklärte mir der „bad cop“ ( der „good cop“ hatte sich schon längst verzogen) ohne mit einer wimper zu zukken, der omnibus sei einen zentimeter zu hoch und er müsse die angelegenheit an die staatsanwaltschaft weiterleiten – er hielt mir wie einem analfabeten verschiedene diagramme vor, um mir den weiteren gang dessen, was nun auf mich zukommen würde, zu erklären. damit ich weiterfahren könne, müsse ich allerdings noch eine kaution von etwa 500 euro bei ihm hinterlegen, wovon mir eventuelle differenzen erstattet würden. und ja, die könne ich auch mit der ezehkarte bezahlen, mit der ich meine tankrechnungen begleiche. meine fantasie galoppierte mir davon: ich bin schon öfter in die schweiz gefahren – ich bin bis nach istanbul gefahren, nach holland & nach frankreich. und durch dänemark. und zweiundzwanzig jahre durch deutschland. als gast eingeladen zum „global forum on modern direct democracy“ ins mutterland der direkten demokratie – und dann sowas!

ich vermute, dies ist der längste beitrag überhaupt geworden – das gegenteil von epistemologischer askese – aber ich mußte das loswerden. ohne meine engel hätte ich das nicht heil überstanden. sie haben mich quasi nach luzern getragen und ich konnte die schweiz bestaunen und alle hirngespinste vergessen.

das ist noch längst nicht alles.