sagten sie da, wo wir gestern waren
fliegender wexel
gestern hat leon uns verlassen. es war schön mit ihm. ich habe gelernt, daß das ballspielen seine gesundheitsfürsorge ist: er ist viel besser gelaunt & entspannter, wenn er – sagen wir mal – eine dreiviertelstunde täglich mit einem ball herumtollen kann. lebe wohl.
und leon kannte anna, die vorgestern abend zu uns gestoßen ist. so hatte anna einen leicht dahingleitenden einstieg. sie ist ganz unkompliziert und natürlich, mit einer sehr farbigen biografie, mit künstlereltern, die in italien lebten und ihre geburt zum anlaß genommen haben, nach witten zu gehen und ärzte zu werden. anna ist schon in inter-essanten ländern herumgekommen: island (!), kanada und in nordamerika war sie schon in vermont, san diego und irgendwo im mittelwesten.
sie hat ein super-abi gemacht (und spielt cello – ich habs ja mit den cellistinnen). und gerade bewirbt sie sich an der bucerius law school in hamburg für ein jurastudium. ich bin völlig verblüfft, weil ich das überhaupt nicht mit ihrem fröhlichen wesen in einklang bringen kann.
herzsprung
ich bin jetzt schon im übernächsten film – und mit meiner erzählung bin ich erst am samstagnacht angelangt
meine kruh liegt schon ziemlich ermattet in den kojen … und ich hab noch so viel aufzuholen. ich bin ein wenig unsicher, ob ich da meine zwanghaften veranlagungen instrumentalisieren und einen strikten rhythmus einhalten soll oder ob ich nach belieben schreibe. das kommt mir viel natürlicher & lebendiger vor. bei ersterem wittere ich suchtgefahren …
sprung zurück zum kuhberg
nachdem ich mir einen ersten überblick verschafft hatte, habe ich mit leon noch eine kleine architekturführung gemacht und ihm die qualität dieser häuser vor augen geführt. und je genauer ich hingeschaut habe, desto schöner fand ich diese häuser. ich war selig.
und dann bin ich mit einem alten kunstprofessor ins gespräch gekommen, der sich dem omnibus höflich inter-essiert genähert hat. es stellte sich heraus, daß er zur ersten studentengeneration der hfg gehörte. seine diplomarbeit war ein stapelgeschirr für großkantinen, ein wirklich schöner archetyp für diese aufgabenstellung. und er hat besonders in der aufbauzeit der hochschule nah mit otl aicher zusammengearbeitet und ihn gut gekannt.
und ich fragte ihn: „wohnen sie etwa in einem dieser wunderbaren häuser?“ er wohnte schon ganz lange und immer wieder in seinem haus – mit ausgedehnten lebensabschnitten in berlin und amerika, soweit ich das verstanden habe. ich war so glücklich, endlich mal mit einem intelligenten zeitzeugen sprechen zu können. das gespräch hat alles bestätigt, was ich aus meiner verschobenen zeitperspektive bisher von der hfg und von otl aicher wahrgenommen hatte. und mit einem geschmeidigen klick bin ich selbst plötzlich zu einem zeitzeugen geworden, weil ich die häuser selbst gefühlt hatte.
als wir uns verabschiedet haben, habe ich auf unsere prinzessin gedeutet und ihm unsere toilettensituation erklärt (es war samstagabend auf dem kuhberg). er hat das sofort zu seinem problem gemacht und überlegt, ob er noch einen schlüssel für die schule hat … und wollte uns später bescheid sagen. als wir gerade beim essen waren, kam er wieder. er hatte keinen schlüssel gefunden und uns seine hausnummer gesagt und erklärt, daß er eine möglichkeit hätte, uns in sein haus hereinzulassen … und wir sollten doch nach dem essen mal bei ihm vorbeikommen, damit er uns das zeigen könne.
ich habe dann mit sophia bei ihm geklingelt und wir haben auch seine frau kennengelernt. sie haben uns zuerst erklärt, wie wir schwupps gleich um die ecke ihre toilette benutzen könnten. und dann sind wir in ein anregendes gespräch gekommen und wir haben festgestellt, daß wir einige bekannte und viele themen gemeinsam hatten. am ende haben wir noch eine führung durch das ganze haus bekommen.
alles wunderbar: das licht, der ausblick, die durchblicke, die räume, die werkzeuge, die gegenstände, die zurückgenommenen schönen möbel. die leicht hingeworfene zweckmäßigkeit und die kraftvolle persönliche ausprägung. nicht korrumpierbar.
anschließend habe ich sophia noch einmal die häuser gezeigt. alle haben diese persönliche sprache, obwohl die grundelemente gleich sind. wir haben gelernt in welchen häusern inge scholl, otl aicher und max bill gewohnt haben. max bill hat geschickt ein riesiges bildhaueratelier halb im boden versenkt – von außen nicht zu sehen. und die meisten garagen hatten keine türen. oft lagen sie zu zweit nebeneinander an der trennungslinie zwischen zwei häusern. dann sahen die beiden garagen so aus wie abteilungen aus der hirschjagd von beuys, diesen eisenschrank aus seinem atelier im zweiten raum des darmstädter blocks und gewährten tiefe einblicke in die persönlichkeiten der bewohner.
es war ganz still dort oben und – wie gesagt – wir konnten fast hundert kilometer ins land schauen. wir hatten eine schöne nacht – und am sonntag ging es mit noch einmal erhöhter intensität weiter … aber es ist jetzt spät, deshalb jetzt nur noch ein paar stimmungsbilder von dem ort, wo ich jetzt stehe:
die meisterhäuser
und dann habe ich die meisterhäuser entdeckt (so hießen die beim bauhaus dessau, das bei mir als hochschule an zweiter stelle kommt).
von unserem platz führten zwei stichstraßen an zwei gestuften, hangwärts eingebauten häuserreihen vorbei, deren volumen von der straßenseite überhaupt nicht zu erkennen war. sie waren jeweils nur an der hangzugewandten seite zugänglich. diese häuser stammen nicht alle aus der bauzeit der hfg, aber sie ordnen sich liebevoll & organisch in den ganzen großen entwurf ein. ich würde sofort in jedes dieser häuser einziehen und würde mich völlig zuhause fühlen …
und noch zwei zur nacht, denn es ist schon spät und ich muß jetzt ins bett:
unverhoffte glückseligkeit
träume erfüllen sich ganz selbstverständlich: samstag nach der arbeit sind wir nach ulm auf den kuhberg gefahren zu meiner geliebten hochschule für gestaltung gefahren, mitbegründet von otl aicher, die progressivste hochschule nach dem zweiten weltkrieg – ich behaupte mal unerreicht bis heute – inkompatibel mit dem besinnungslosen staat des wirtschaftswunders, glorios 1968 vom staat kaputtgemacht … und die protagonisten der hochschule haben alle schleimigen annäherungsversuche einhellig zurückgewiesen.
global war die hochschule so ziemlich das beste, was in dieser zeit aus der wissenschaft herausgeholt werden konnte. absolute avantgarde, mit heute noch spürbaren wirkungen besonders in ländern der dritten welt, die bereit oder gezwungen sind, einmal ernsthaft alle ihre sinne auf die praktische verarbeitung der wirklichkeit zu richten und verantwortung zu übernehmen.
übrigens hat hier auch das eifohn seine wurzeln!
wir haben uns hoch oben einen platz gesucht, wo bei entsprechendem wetter die alpen zu sehen sind. gestern konnte man so ungefähr siebzig kilometer ins land sehen. da fühlten wir uns schon unverschämt gut.
ich bin dann rumgewandert und habe versucht, alles aufzunehmen, was da für mich zu spüren war und ich war von der schlichten schönheit wirklich überwältigt. sowas brauchen wir jetzt immer drängender. für mich war die hochschule immer ein großes vorbild und otl aicher ein wahrer meister, einer der ganz wenigen einsamen solitäre, die aus dem allgemeinen stumpfsinn herausragen.
ich habe ein paar bilder gemacht und war schon richtig glücklich:
diese architektur ist fast so alt wie ich! 1953 gebaut von max bill, mit viel unterstützung von den amerikanern, die keine ahnung hatten, was sie nun mit diesen deutschen anstellen sollten. geholfen hat auch, daß so kurz nach dem krieg fast alle deutschen bei dem namen inge scholl sozusagen automatisch ein schlechtes gewissen hatten. ich bin unter genau diesen heuchlern großgeworden. lauter feiglinge.
diese architektur ist so zweckmäßig und schlicht, so schön eingebettet in diese spektakuläre topologie – ich könnte weinen vor freude. und die pflanzen sind auch in ihrer komposition schon sechzig jahre alt und bringen bringen die intelligent eingesetzte spitzentechnologie wieder zum verschwinden. mit meiner ddr-affinität würde ich als kompliment sagen: wunderschöne plattenbauten.