die unbefangenheit beim cellospielen ist futsch, seit die nachbarin sich beschwert hat – ich zupfe nur noch leise und übe meine linke hand …
das cello ist eine schöne erkundung
und verzweigte welten tun sich auf: clarissa, eine der protagonistinnen aus „heimat“ ist zum beispiel eine nervöse cellistin, die gerade (anfang der 60er jahre) eine abtreibung im muffigen keller einer arztvilla hinter sich hat.
ich höre mir lauter virtuosinnen an und versuche, die entspanntesten haltungen für die größte geläufigkeit herauszufinden. ich hab schon dran gedacht, es mal für eine nacht mit ins bett zu nehmen. aber ich glaube, ich frage erst freya, ob das in ordnung ist.
als eingefleischter rechtshänder muß ich jetzt den fingern der linken hand nie verlangte komplexe koordinationsfähigkeiten – fast wie schreiben, aber mit viel mehr kraft – beibringen die kommt mir ganz verkümmert vor – wie konnte ich damit leben?
die bogenführung ist noch mal ein extra thema – da wird es dann laut …
heimat
mit diesem mir am herzen liegenden thema bin ich jetzt noch einmal auf mehreren ebenen in berührung gekommen.
(es gibt ja das ausführliche gespräch mit meinem freund johannes heim(r)at(h) zu diesem thema … und übrigens jetzt auch noch einen kleinen neuen film)
durch einen hinweis meiner tochter habe ich die „heimat trilogie“ von edgar reitz entdeckt, der in den bewegten achtundsechziger-zeiten in der filmklasse der ulmer hochschule, die von otl aicher gegründet wurde, studiert hat. er setzt sich darin auf eine ganz eigenartige weise mit der geschichte eines hunsrück-dorfes auseinander. beginnend mit dem ende des ersten weltkrieges wird der erzählfaden bis zur jahrtausendwende gesponnen …
da bin ich jetzt mitten drin – und es tun sich welten auf, die ich auch direkt auf meine biografie beziehen kann. das ist ein echtes lebenswerk mit den inter-essantesten weiterungen & verästelungen.
und dann habe ich noch ein buch von maria mies entdeckt, das ich noch nicht kannte:
Maria Mies
Das Dorf und die Welt
Lebensgeschichten – Zeitgeschichten
PapyRossa Verlag
ISBN 978-3-89438-387-9
darin erzählt sie sehr kohärent und klar ihre unglaubliche lebensgeschichte: sie ist 1931 als tochter von bauern in einem „armen“ eifeldorf geboren und hatte elf geschwister. sehr schön fand ich ihre aussage, daß sie sich nie arm gefühlt hat. sie ist eines meiner großen weiblichen vorbilder; und es paßt sehr gut zu ihr, daß sie sich als alte frau regelrecht verpflichtet fühlte, ihre ganze geschichte selbst zu erzählen – fast wie eine orale überlieferung – und als schutz vor lügen & verdrehungen. ich liebe dieses buch und kann es nur wärmstens empfehlen!
das führt mich unmittelbar zu einem absatz über die epen des „analphabeten“ homer, den ich heute in „im bann der sinnlichen natur“ von david abram gelesen habe:
„… offenbar setzte homer eine formelhafte wendung nach der nächsten ein, um in den gesängen das treibende versmaß einer trancehaften, rhythmischen improvisation zu bedienen. damit soll nicht homers genialität in abrede gestellt, sondern lediglich gezeigt werden, daß seine poetische brillanz ebenso darstellerischer wie kreativer natur war – sein genius war wohl weniger der eines schriftstellers, der einen großen roman verfaßt, als der eines inspirierten und wortgewandten rappers.“
o je
jetzt stört sich eine mitmieterin (die mir am liebsten auch das rauchen und das essen von fleisch verbieten würde) um elf uhr abends an meinem cellospiel – ich hatte keine ahnung, ob mich jemand hört. ich trau mich ja nicht einmal, volle kanne loszuspielen. und der dumme zufall ist, daß meine tage hier von halb zwölf bis vier uhr morgens währen. muß ich mich also jetzt freundlich anpassen und für nachts andere ventile suchen.
wie schön, daß ich wieder schreiben kann.
allein sein
diesen winter genieße ich ganz aufmerksam das alleinsein – ohne mich nach außen abzuschließen. souveränität über die zeit. was für eine wohltat. es gelingt mir sogar, meine leselust in zaum zu halten.
trotzdem bin ich auf interessante sachen gekommen und gehe jetzt eher in die tiefe. was auch bedeuten kann, daß ich schwellenbücher noch einmal oder in einer anderen sprache lese – das ist viel fruchtbarer als ständige massenlektüre. die gegenwart weitet sich aus.
letzten freitag hat mich jonathan aus paris über bonn kommend in meinem kämmerlein besucht. am nachmittag sind wir dann zu fünf erwachsenen (aurel, andrea, konstantin, jonathan und ich) in meiner nähmaschine zum einleitungsvortrag zum „jungentreffen“ in jan’s (….) in witten gefahren. es war wunderbar, alle mal so blitzlichtartig wiederzusehen in diesem schönen ambiente. auch der vortrag von johannes war sehr gelungen. jan sah ganz verstrubbelt aus, aber die wilde frisur stand ihm gut – der sturm der wirklichkeit pfeift ihm um die ohren.
ein paar schöne reaktionen auf meine weihnachtspost sind bei mir gelandet …