die marienkirche

hat mich voll in ihren bann gezogen – die wucht & die masse haben ein ehrfürchtiges staunen bei mir ausgelöst. ich sehe millionen stunden handwerklicher arbeit – ich sehe ein meisterhaftes gemeinschaftswerk zur höheren ehre gottes.

ich bin beeindruckt, wie liebevoll ein so riesiges bauwerk 700 jahre lang instandgehalten wurde

und dann erfahre ich, daß diese kirche 1942 bei einem luftangriff völlig zerstört wurde – das sind die scherben einer glocke, die dabei am boden zerschellt ist. ich realisiere verblüfft, daß rund um mein geburtsjahr mit maschinenhilfe alles noch mal neu gebaut wurde – und frage mich, ob das vernünftig war.

ich habe gerade ein buch gelesen mit dem doppeldeutigen titel „material matters“, das eine zuspitzung der cradle to cradle filosofie ist und vorschlägt, ein materialkataster anzulegen, das ermöglicht, alle stoffe & materialien zyklisch möglichst lange immer weiter zu verwenden.

der ästhetische genuss dieser komposition hat angesichts unserer gegenwart eine dekadente note – was ließe sich mit unserem heutigen wissen aus diesem ungeheuren gebirge aus masse & zeit alles heilsames machen nach dem motto „small ist beautiful“?

das alles hat bei mir eine lübeck-entzündung ausgelöst und ich hab noch tausend anregende einzelheiten über die geschichte der stadt erfahren, so daß ich die mangelnde eignung des marktplatzes leicht verschmerzen und mich auf weitere expeditionen freuen konnte.

nebenbei gab es noch eine „kunst“ausstellung, deren konzeption sich mir nicht erschlossen hat.

lübeck

unser wochendplatz ist ideal. wir stehen eine fußgängerbrücke von der altstadt entfernt und ich hatte gelegenheit, mich treiben zu lassen – dabei ist ein umfangreiches soloalbum herausgekommen und ich habe den abend damit verbracht, die aufgenommenen bilder zu bearbeiten.

ganz winzig ist der OMNIBUS zwischen den bussen zu sehen. wir können ganz entspannt dem OMNIBUS die ganze arbeit machen lassen …

ich hab vier euro eintritt für die marienkirche gezahlt und fühlte mich so winzig wie ein floh in der massiven wucht. ich war kolossal beeindruckt und regredierte gleich in meine kindheit – ich war nämlich meßdiener!

ganz versonnen & wunderfitzig habe ich dann diese monströse kultstätte auf mich wirken lassen. mit dem material ließe sich ein kleines städtchen bauen.

es ist mal wieder zwei uhr morgens – nacht zusammen.

ich atme auf

denn damit ist die kronologie notdürftig zusammengeflickt.

jetzt stehen wir für das wochenende auf einem busparkplatz direkt neben dem MUK und haben die schlüssel zu den sanitären anlagen in einem anarchistischen kulturzentrum samt wagenburg schräg gegenüber.

ich hoffe sehr, daß ich gelegenheit finde, mich noch ausgiebig in dieser interessanten alten stadt umzusehen – wie manhattan von wasser umgeben – es gibt einen amphibienbus (ich traute meinen augen nicht, als ich den zum ersten mal gesehen habe).

salto rückwärts

ab heide hab ich hier den faden verloren – wir standen wie beim letzten mal am südwestlichen rand des größten unbebauten marktplatzes deutschland’s – sie haben sich mit freudenstadt im schwarzwald darauf geeinigt, weil sie dort auch feste buden haben.

dieser markt ist für etwa 150 jahre der zentrale schauplatz der geheimnisvollen dithmarscher bauernrepublik gewesen – jedes mal, wenn ich in heide bin, versuche ich, mehr darüber zu erfahren. ein selbstironischer schweizer hat mir davon erzählt – seitdem liebe ich die friesen. beim offensiven sammeln komm ich nicht weg vom OMNIBUS und sehe folglich nur wenig von der jeweiligen stadt.

deshalb will ich mich mal in epistemologischer askese üben und die fehlenden stationen mit bildern auffüllen – nach heide kamen drei tage auf dem „großflecken“ in neumünster – fangen wir also mit einem suchbild an:

der großflecken ist ein sehr langgezogener. in spitzen auslaufender platz und wir standen wieder in der äußersten spitze richtung bahnhof & konsumhölle. wir haben uns mit uta & jochen verschwistert und alles mögliche gesammelt.

dann gings weiter nach glückstadt – über das daran anschließende glückliche wochenende bei sui dschen & paul habe ich ja schon berichtet:

zum ersten mal standen wir am rand des platzes – gegenüber vom rathaus. glückstadt ist eine am reißbrett geplante stadt – sternförmig laufen die straßen auf dem marktplatz zusammen. das war mal die hauptstadt von dänemark.

übrigens hat mir sui dschen noch die ausstellung des inzwischen verstorbenen malers bernd wolf gezeigt, der die meisten seiner bilder mit den händen gemalt hat – ich fühlte mich sofort verbunden in dem bemühen um unmittelbarkeit, wenn ich auf den großen gongs spiele oder wenn ich auf der straße mit menschen in kommunion gehe:

viertausend zweihundert dreiunddreißig

am zweiten abend in lübeck, wo wir fünf tage und das wochenende verbringen werden – wexelweise auf dem weltberühmten historischen marktplatz, den ich schon 2019 reich bebildert habe – und ringsrum optisch abgeschirmt & eingeschlossen in einem gewimmel von touristen …

… und – weithin sichtbar – auf dem klingenberg. auf dem marktplatz bekomme ich den ganzen tag nichts von der stadt zu sehen und alle hoffnungen lasten auf dem ambulanten sammeln an stellen, wo es möglichst viele einheimische gibt …

… da hat mir der himmel, in den ich früher die alfamädchen gehoben habe, zu deren ehrenrettung am mittwoch mittag simone geschickt – allerdings mit raspelkurzen haaren – was ihr noch viel besser steht. der brauch ich überhaupt nichts zu erklären – sie ist voll da!

und elias sowieso – ich zwinge mich, nicht an seinen baldigen abschied zu denken.

in vollem vertrauen aufeinander haben wir hier alle woanders schon dreihundertfünfzehn unterschriften gesammelt und bewältigen mühelos & geschmeidig auch komplexe äußere umstände.

in freier improvisation.

und ich sitze zufrieden an meinem schreibtisch und werde wohl schon um halb eins ins bett gehen.

eutin

sonntag abend sind wir in eutin vor zwei digital gesteuerten pollern gestrandet und konnten nicht auf den platz vor unserer nase einfahren. ich wollte vor diesen ungeschlachten robotern nicht ohne weiteres kapitulieren und habe die polizei um hilfe gebeten – die haben sich nicht getraut, die poller aufzuschließen, weil die genehmigung erst auf montag lautete. sei’s drum.

am ende hat sich alles zum guten gewendet, denn wir haben auf einem großen leeren parkplatz hinter dem schloß eine stille nacht verbracht. ich hatte die unerwartete gelegenheit, mich umzusehen und zum beispiel eine mindestens 250 jahre alte lindenallee zu entdecken:

eutin ist ein hübsches städtchen mit zwei seen, dem man seine tausend jahre nicht ansieht. unser bühnenbild war eine respektvoll gepflegte architektur mit allerlei zeitgenössischen zweckmäßigkeiten. bei schlechtem wetter zieht das eine menge touristen von den küsten an, mit denen wir ja nur beiderseits ermutigende schwätzchen halten können. manchmal landen kleine scheine in unserer spendendose oder wir bekommen die erlaubnis, nochmal anzurufen, denn fast alle haben noch nie von uns gehört und sind ziemlich begeistert – aber im urlaub.

elias & ich waren mutterseelenallein.

das wetter war ein wildes stakkato von sturmböen & regenschauern – noch ehe der boden getrocknet war, ging es schon wieder los. unsere stellschilder fegten kreischend über den platz und den vorletzten unserer regenbogenschirme hat es komplett zerfetzt.

das ist ein suchbild von elias, der unermüdlich unterwegs war. ich hab immer wieder lauthals gerufen: “ hier können sie im trockenen unterschreiben!“

am abend hatten wir unglaubliche 139 unterschriften beisammen – besser gehts nicht.

komplementär war dann der zweite tag, an dem die regenschauern zu wolkenbrüchen entarteten, der erste tag, an dem wir weniger als hundert unterschriften gesammelt haben: 81

gleichwohl

zu zweit an zwei tagen zweihundertzwanzig unterschriften – da ist uns unter diesen umständen ein soziales meisterstück gelungen.

amen

duette

mein dialog mit johannes ist symbiotisch und völlig losgelöst von raum & zeit.

auf diesem bild steht er in wakendorf unsichtbar neben elias zwischen den strichen und ich bin auf dem bild zu sehen und sitze drei tage später in lübeck – das perfekte album cover für diese einmalige band – jedenfalls auf dem eifohn.

dieses zweite duett spielt in einem anthropologischen paralleluniversum – er läßt mich teilhaben an seinen leidenschaftlichen expeditionen.

als er seinen teil aufgenommen hat, war ich in wakendorf und er war in kiel – drei tage später in lübeck habe ich versucht, den komplementären karakter unserer symbiose abzubilden.

wir waxen über uns hinaus wie die pilze & algen, die sich zu solch schönen flechten vereinen.

neue haltestelle

auf zauberhaft verwobene weise haben wir eine wunderbare OMNIBUS haltestelle fürs wochenende gefunden – bei bernd & biance bobsien, den eltern von johannes‘ freundin’s freundin, die um viele ecken herum erfahren haben, daß wir in bad segeberg waren …

das ist bianca, nachdem sie sich johannes zu erkennen gegeben hatte – wir waren leicht panisch auf der suche nach einem wochenendplatz, wo wir bis zur letzten minute unser beisammensein auskosten könnten – am samstag mußten raphael & johannes zu irgendeinem bahnhof – und enoch am sonntag mittag.

am ende haben uns die beiden (bernd & bianca) zu sich auf den „hof“ eingeladen. ich konnte mir das ambiente, in das wir geraten würden, überhaupt nicht vorstellen. wir sind über winzige sträßchen ziemlich weit aus bad segeberg herausgefahren, gemächlich durch eine lebhafte landschaft mit malerischen dörfchen, bis wir im winzigen wakendorf gelandet sind.

johannes hatte im stillen alles perfekt eingefädelt – mitten im nirgendwo gab es nämlich einen unwirklichen eingleisigen bahnhof, von dessen existenz ich mich erstmal mit eigenen augen überzeugen mußte:

die familie bobsien hat uns ganz herzlich mit einem grillabend empfangen und bereitwillig alles mögliche angeboten – wir bekamen einen schlüssel für das frisch renovierte haus und konnten alle sanitären einrichtungen benutzen … wir haben drei maschinen wäsche gewaschen, den OMNIBUS und uns selbst geputzt – und enoch hat sogar den goldenen gürtel poliert, der durch den vielen regen sehr gelitten hatte.

der „hof“ hat meine fantasie gekitzelt und war die perfekte bühne für das immer-besser-kennenlernen von bernd, inmitten von seinem maschinenpark.

auf meine frage, ob wir seinen „hof“ als OMNIBUS haltestelle in erwägung ziehen dürften, sagte er, daß er bald in den ruhestand gehen würde und den „hof“ nur gepachtet hätte, daß wir aber jederzeit in seinem haus willkommen wären und er einen platz für den OMNIBUS organisieren könnte …

ein wochenende im schlaraffenland – halleluja

potlach

immer, wenn wir drei alle paar jahre schlaglichtartig für kurze zeit voll analog zusammenkommen, ist das ein fest mit maßgeschneiderten geschenken – das buch von johannes ist da ein beispiel – ein exemplar habe ich gleich enoch zum abschied weitergegeben – der kann das praktisch gut gebrauchen. eins ist meins und eins geht an den OMNIBUS – wie schön, daß johannes schon vorher wußte, welche fäden ich damit spinnen würde.

enoch hat gespürt, daß er mein herz mit einer gebundenen ausgabe von „das geraubte kind“ von galsan tschinag erfreuen kann.

sehr praktisch ist, daß die beiden kindlekinder sind und so zugang zu meiner ziemlich umfangreichen bibliothek haben.

wir reichern uns aneinander an und das schiere analoge beisammensein ist das größte geschenk.

und wir können froh & zufrieden auseinander gehen.

heute haben wir enoch an dem lustigen eingleisigen bahnhof, der wie eine langgezogene bushaltestelle wirkt, nach berlin verabschiedet und ich bin mit elias allein.

und stellt euch vor ::: auf unserer fahrt nach eutin sind wir auch durch berlin gefahren …

… und haben bei diesem kilometerstand getankt !

justitia

johannes, den ich immer wunderfitzig bestaune, ist nach seinem juristischen staatsexamen in der uni als tutor für die ersties beschäftigt und schreibt an seiner doktorarbeit. aus seiner für mich exotischen welt hat er mir ein passendes geschenk in dreifacher ausführung mitgebracht, das ich am liebsten als pflichtlektüre einführen würde:

„demophobie – muss man die direkte demokratie fürchten?“

von getrude lübbe-wolff, die bis 2014 12 jahre richterin am bundesverfassungsgericht war.

ich habe das schon zur hälfte gelesen – mit spitzem bleistift – und bin sehr beeindruckt von der sachlichen gelassenheit, mit der justitia alle landläufigen befürchtungen im hinblick auf direkte demokratie fundiert in wohlgefallen auflöst.